PETER LONGERICH: „HEINRICH HIMMLER"

Blass, unscheinbar, ein verklemmter Pedant ohne jedes Charisma war Heinrich Himmler und dennoch wurde er der zweitmächtigste Mann im Dritten Reich als Reichsführer SS, als Chef der Deutschen Polizei und mit über einer Million Soldaten der Waffen-SS unter seinem Befehl. Und Himmler war wie kein Anderer der ebenso erfindungsreiche wie gnadenlose Macher des Holocaust. Um so erstaunlicher ist, dass erst jetzt eine umfassende Biographie über die grausame graue Eminenz vorliegt.

„Heinrich Himmler. Biographie" ist sie schlicht überschrieben und Autor Peter Longerich, Professor für Moderne Deutsche Geschichte am Royal Holloway College der Universität London, hat dazu nicht nur ein exzellentes Recherchestudium absolviert, er enttarnt neben Himmlers psychischen Defiziten auch die abstrusen wahnhaften Utopien des diplomierten Agrarökonomen vom rassereinen Großgermanischen Reich, für die er bedenkenlos 30 Millionen „Slawen" opfern wollte. Die detaillierten Darlegungen beleuchten zunächst die ersten 20 Jahre des mittleren Sohnes eines strengen bayerischen Gymnasialdirektors. Schmächtig, kränkelnd und stark bindungsgestört gehört er mit dem Geburtsjahrgang 1900 zu jenen jungen Männern, für die das Kriegsende zu früh kam für Soldatenruhm, was Himmler als schweren Makel empfand.

Ehedem aus katholisch-nationalistischem Elternhaus stammend, setzt seine politische Hinwendung zum Rechtsextremen offenbar mit dem Hitler-Putsch von 1923 ein und 1925 folgte er dem „wahrhaft großen Mann" in fast bis zuletzt unerschütterlicher Loyalität in die NSDAP und in die SA. Und Hitler stellte als Belohnung für die strebsame Ergebenheit die Weichen für eine Karriere, die niemand zu diesem Zeitpunkt erahnen konnte, als er den beflissenen Himmler zum stellvertretenden Anführer der zu diesem Zeitpunkt erst noch nur nach Hunderten zählenden „Schutzstaffel" ernannte.

Schon von hieran wechselt die reine Biographie zur Geschichte von Himmler und der SS, die er intensiv wie niemand sonst verkörperte. War er einerseits eine schwer zugängliche Persönlichkeit, verband er andererseits eine diffuse Mischung von Ideologie, Opportunismus und extremen Ehrgeiz mit einer ungeheuren Effizienz. Schon 1929 war er „Reichsführer SS", und er verstand es mit beispiellosem Organisationstalent, seine paramilitärische Truppe massiv zu erweitern und als Prätorianergarde der „Hitler-Bewegung" aufzubauen, die sich klar von den rüpelhaften Braunhemden der SA abhob.

Es waren dann Himmler und seine SS, die Adolf Hitler 1934 im perfekt inszenierten Gewaltstreich von der lästig gewordenen SA befreiten. Von nun an entstand ein SS-Reich als Staat im Staate, das Himmler monokratisch führte. Zugleich formte er die SS kompromisslos unermüdlich zum Sippenorden, den er mit „fürsorglicher Strenge" führte. In den Krieg zogen bereits 1939 auch SS-Truppen, zugleich war Himmler in der 1939 geschaffenen Terrorzentrale Reichssicherheitshauptamt (RSHA) das unmittelbar ausführende Organ für Hitlers Ausrottungsfeldzug gegen das Judentum, den Himmler mit mindestens gleich großem Fanatismus verfolgte und als oberster Herr des KZ-Systems mit höchst effektiven Ideen und Maßnahmen in Gang setzte.

Dabei faszinieren viele Details seines Führungsstils, denn in einem geradezu manischen Kontrollbedürfnis verwaltete er sein Netzwerk bis in letzte Verästelungen. Und während seine Schergen millionenweise mordeten, unterwarf er sie zugleich einem strengen Sittenkodex nach innen, den er persönlich kontrollierte und mit immer neuen Weisungen ausfüllte, um mit Zucht und Ordnung für „Anständigkeit" dazustehen. Himmlers Wirkungsgrad erweist sich als gewaltig, zumal er fast jederzeit direkten Zugang zu Hitler hatte und zur Durchsetzung seiner Kompetenzen jeden Widerstand mit dem Hinweis auf den „erklärten Willen des Führers" brach.

Um so jämmerlicher liest sich sein schneller Abstieg, als er gegen Kriegsende als Chef der Heeresgruppe Weichsel versagte und dann in unglaublicher Realitätsblindheit meinte, mit den Alliierten verhandeln zu können. Für diesen ausgerechnet von ihm nie erwarteten „Verrat" verstieß ihn Hitler noch am Tag vor seinem Selbstmord aus allen Ämtern und der Partei. Ein einziges Mal jedoch tut Himmler etwas Gutes für die Nachwelt: die schmähliche Art seines Selbstmordes, nachdem er im Mai in britische Gefangenschaft geraten war, verhinderte jegliche Legendenbildung als Nazi-Größe.

Fazit: ein brillantes Standardwerk, das längst überfällig war. Man hätte sich etwas mehr über das direkte Miteinander von Himmler und Hitler gewünscht, andererseits glänzt das elegant zu lesende Werk mit seinem detaillierten Faktenreichtum, das auch so manche bisherigen Fehleinschätzungen geraderückt.

 

 

# Peter Longerich: Heinrich Himmler. Biographie; 1037 Seiten, div. Abb.; Siedler Verlag, München;

€ 39,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: Bio 230 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de