JAMES CANON: „DER TAG, AN DEM DIE MÄNNER VERSCHWANDEN

Einen Geniestreich hat der in den USA lebende kolumbianische Autor James Canon geschaffen, als er einen ebenso realistischen wie utopischen Roman aus seiner seit Jahrzehnten vom Bürgerkrieg zerrissenen Heimat schrieb. Er führt in das abgelegene Andendorf Mariquita, in das an einem Sonntagmorgen im Jahre 1992 Guerrilleros einfallen und alle männlichen Einwohner über 15 Jahren zwangsrekrutieren und mitnehmen.

„Der Tag, an dem die Männer verschwanden" lautet auch der Titel und es erscheint unausweichlich, dass das Dorf nun im Elend versinkt. Bis Rosalba, die resolute Witwe des Dorfpolizisten, die Initiative ergreift und sich des verwaisten Rathauses bemächtigt. Sie schart sämtliche Frauen um sich, verteilt die zu erledigenden Aufgaben und trotz mancher Fehler gelingt so allmählich mehr als nur eine Wiederbelebung – es entsteht sogar eine gewisse Blüte.

Bleibt ein naheliegendes Problem: ohne Nachwuchs wird das Dorf eines Tages aussterben und es gibt nur den ältlichen Padre und vier minderjährige Knaben als potentielle Erzeuger. Rosalba überzeugt die anderen Frauen von einer Zeugungsgesetzgebung. Der Padre erteilt sich selbst Dispens vom Zölibat und hat 29 Versuche, wobei sein Einsatz zur Schwängerung der jungfräulichen Virgelina eine der hinreißendsten Szenen des ohnehin prallen Geschehens bietet. Zu dumm nur, dass der lüsterne Gottesmann sich als steril erweist. Aber auch die Jungs versagen und hier krönt der Autor den sprühenden Aberwitz mit besonders skurrilen Momenten.

Zugleich aber entwickelt sich eine weibliche Gesellschaft von utopischer Friedlichkeit, das jedoch voller subversiver Ideen von der Gleichheit aller über das Gemeineigentum bis hin zu der Feststellung: „Ohne Gott gibt es keinen Himmel und keine Hölle. Das Leben ist besser so." Doch der Autor lässt auch nie vergessen, dass dieser überaus intelligente Roman in Kolumbien spielt. Dafür sorgen kurze verstörende Einschübe nach jedem Kapitel, in denen jeweils ein Soldner oder ein Guerrillero abwechselnd von grausamen authentischen Erlebnissen berichtet.

Erzählt ist das Alles in der Tradition des Magischen Realismus und James Canon erweist sich dabei als hervorragender Anwärter auf die Nachfolge solch meisterhafter Erzähler wie Garcia Marquez und Vargas Llosa.

 

 

# James Canon: Der Tag, an dem die Männer verschwanden (aus dem Amerikanischen von Sky Nonhoff); 398 Seiten; Ullstein Verlag, Berlin; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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