OSWALT KOLLE: „ICH BIN SO FREI. MEIN LEBEN"

Nur wenige Persönlichkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte haben einen solch prägenden Einfluss auf die Gesellschaft ausgeübt wie Oswalt Kolle. Was der Sex-Aufklärer der Nation in den 60er Jahren in Gang setzte, war schlichtweg eine Revolution und ähnlich umwälzend wie der zugleich und großenteils kongruent verlaufende Aufbruch der Jugend aus dem Mief der moralinsauren Adenauer-Zeit.

Nun legt der fast 80-Jährige seine Autobiographie vor und betitelt sie mit dem ihm eigenen wurstigen Charme mit „Ich bin so frei. Mein Leben". Freimütig und mit dem flotten Schreibstil des erfolgreichen Boulevard-Reporters schildert er seinen Werdegang vom schüchternen Journalisten aus gutem liberalem Hause bis zum Sex-Papst, dessen Aufklärungsfilme weltweit millionenfach nicht nur junge Leute in die Kinos lockte.

Den wichtigsten Impuls für seinen Weg zu solchen Büchern und Filmen wie „Das Wunder der Liebe" legte dabei bereits Ende der 40er Jahre der Auftrag seines Vaters, des berühmten Psychiaters Kurt Kolle, als er den Sohn bat, Teile des ersten Kinsey-Reports „Die Sexualität des Mannes" ins Deutsche zu übersetzen. Doch erst eine Sinnkrise des mittlerweile arrivierten Klatsch-Reporters, der Interviews mit Größen wie Kim Novak und Curd Jürgens machte und Stars wie die Knef zu seinen Freunden zählte, führte Kolle zu seiner Bestimmung als der großer Aufklärer mit dem entscheidenden Lehrsatz: „Liebe kann man nicht lernen, Sexualität sehr wohl."

Selbst nie ein Kind von Traurigkeit und trotzdem 47 Jahre lang verheiratet – meist sogar glücklich – versteht er sich auf all die Problemlagen und Unzulänglichkeiten der sittenstreng gedeckelten Menschen. Was heute in Wort und Bild beinahe lächerlich harmlos wirkt, brachte ihm seinerzeit Hass, Hetztiraden und aberwitzige Kämpfe mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) ein, wo auch schon mal entsetzt festgestellt wurde: „Jetzt soll sogar die Frau oben liegen!"

Aber der Tabubrecher par excellence spricht auch offen über Privates bis hin zu seiner Bisexualität oder der Unfähigkeit zur sexuellen Treue. Die ein oder andere Eröffnung kann durchaus überraschen wie die zu sexuellen Affären mit Horst Buchholz und einer besonders leidenschaftlichen mit der gerade in Frankreich aufstrebenden Romy Schneider. Und er bricht ein weiteres Tabu, als er bekennt, er habe seiner krebskranken Frau beim Sterben geholfen.

Oswalt Kolle erzählt ebenso bunt wie charmant, ganz gewiefter Journalist und dennoch hält sich bei aller Offenheit die Eitelkeit in gut erträglichen Grenzen. So lesen sich diese Erinnerungen an wahrhaft Revolutionäres, das den Nerv der Zeit just zum richtigen Moment traf, als spannender Bericht aus einer bereits erstaunlich weit zurückliegenden Ära. Fazit: möchten doch alle Revolutionen so unblutig und lustvoll erfolgreich sein!

 

# Oswalt Kolle: Ich bin so frei. Mein Leben; 312 Seiten, div. Abb.; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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