XIAOLU GUO: „KLEINES WÖRTERBUCH FÜR LIEBENDE"

Der neue Roman von Xiaolu Guo trägt den Titel „Kleines Wörterbuch für Liebende" und das hört sich arg nach Schnulze oder Groschenroman an. Doch weit gefehlt, denn diese Geschichte der in London lebenden Chinesin ist die ebenso intelligente wie überaus charmante Schilderrung eines Kulturschocks samt Romanze.

Da wird die knapp 24-jährige Zhuang für ein Jahr nach London geschickt, um Englisch zu lernen. Die DBauerstochter aus kleinen Verhältnissen fühlt sich zunächst und für geraume Zeit so, wie die Unterteilung am Airport sie eingestuft hat: als „alien", gewissermaßen wie von einem anderen Stern. In ihrer Beklommenheit in der februarmäßig unwirtlichen Metropole beginnt sie ihr kleines Wörterbuch mit all den teils verwirrenden Worten und Redewendungen und deren noch verwirrenderen Bedeutungen, das sie stets mit sich führt.

In der Klasse für die asiatischen Sprachschüler zeigt Lehrerin Mrs. Margaret kein übermäßiges Einfühlungsvermögen, die Taxifahrer sind ruppig und immer neue Konventionen verstören die junge Frau. Zu den Überraschungen gehören aber auch die Essgewohnheiten, wo ihr manches quer heruntergeht und das, wo Essen schon immer sehr wichtig für sie war. Geborgen fühlt sich Zhuang schließlich nur im Kino – und dort begegnet sie dann auch der Liebe in Gestalt eines Alt-Hippies, dessen Namen sie ebenso schwer aussprechen kann wie er den ihren, weshalb er sie einfach Z nennt.

Er wird ihre erste große Liebe, dabei setzt auch die mit einem Missverständnis ein, denn nach dem angeregten ersten Abend hatte er lediglich gesagt: „Sei mein Gast". Prompt zieht sie mit sämtlichen Habseligkeiten bei ihm ein. Nicht nur wegen 20 Jahren Altersunterschied bleibt es nach seligen Stunden auf Dauer nicht bei der vom Staunen des Kennenlernens begleiteten Romantik, zumal er Vegetarier, stadtmüde und eingefleischter Junggeselle ist. Eine weitere unerwartete Erfahrung mit ihm ist für sie, dass die in China quasi unbekannte Privatsphäre den Menschen einsam macht.

Doch viele der Lernprozesse sind auch von köstlichem Witz, wie das Unverständnis über eine Gebrauchsanweisung für Kondome oder der Besuch in einer Peepshow mit überraschenden Erkenntnissen über Sex und Körperlichkeit. Die bezaubernde Naivität und entwaffnende Offenheit in erotischen Dingen dagegen geben der tagebuchartig erzählten Geschichte einen poetischen Anflug, der der bittersüßen Romanze eine wohltuende Tiefe verleiht.

Die hohe literarische Klasse wird dabei sowohl von der herben Aufdeckung der kulturellen und philosophischen Unterschiede zwischen den beiden Welten gewährt wie auch von der raffinierten Sprachführung. Gekonnt holprig erzählt Zhuang zunächst ihrem Tagebuch von all den Unverständlichkeiten, um mit zunehmendem Verstehen immer flüssiger zu werden. Dabei unterstreichen die bis zuletzt nicht gänzlich überwundenen Sprachfehler, wie unüberwindlich manche Unvereinbarkeiten im Denken und Fühlen nicht nur der jungen Chinesin und ihres englisches Geliebten bleiben. Fazit: ein bis zuletzt fesselnder Roman, der weit mehr ist als eine niveauvolle Liebesgeschichte und ein großartiges Lesevergnügen, das zu manchem Nachdenken anregt.

 

# Xiaolu Guo: Kleines Wörterbuch für Liebende (aus dem Englischen von Anne Rademacher); 351 Seiten; Knaus Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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