KERSTIN HENSEL: „LÄRCHENAU"

Ist es möglich, einen Arzt- und Heimatroman samt Grafenfamilie und Schloss zu schreiben, der mit schwarzhumorigem Witz und beißender Satire auf hohem Niveau eine Art Panorama der Nachkriegszeit im Brandenburgischen vor und nach der Wende lebendig werden lässt? Kerstin Hensel ist dieses Kunststück mit ihrer grandiosen Dorfposse „Lärchenau" gelungen.

In dieses Dorf irgendwo im märkischen Sand wird am 6. September 1944 Gunter Rochus Konarske geboren. Vater ist der 70-jährige Dorfarzt Lingott, den bald die Nazis abholen, Mutter ist die 20-jährige Arzthelferin Rosie. Exakt am selben Tag wird im fernen Vogtland auch Adele Möbius geboren, die fest an die Beteuerungen ihrer Mutter glaubt, der Führer selbst sei ihr Erzeuger gewesen. Gunter und Rosie heiraten, doch Eheglück kommt nicht auf, weil Adele mäßig begabt ist und sich in Träume flüchtet, während Gunter seinem schon in Kindertagen ausgeprägten Drang nach scharfen Werkzeugen sowie Fleisch und Blut als Arzt auf perverse Weise frönt.

Das allerdings mit kalter Intelligenz und dem brennenden Ehrgeiz, Chefarzt und Nobelpreisträger zu werden. Seine abartigen Fantasien lebt er mit seltsamen Forschungen zur Fruchtbarkeitssteigerung und für Verjüngungsmittel aus. Sind es zu DDR-Zeiten erst noch Schweine und andere Tiere, an denen er sich auslässt, dient ihm später selbst Adele als ahnungsloses Versuchsobjekt. Mit teils aberwitzigen und weitreichenden Folgen nicht nur für die Angetraute.

Doch Lärchenau hat noch weit mehr zu bieten als diese mäßig beliebte Paar, denn dieser köstliche Mikrokosmos mit all seinen skurrilen Gestalten – die in ihrem Muckertum und ihrer seltsam anmutenden Dorfhockerei dennoch überraschend authentisch wirken – steckt voller kruder Geschichten. Da ist die Mennichensee-Bande mit ihren Spielchen, die alles andere als jungenhaft frech oder gar harmlos sind. Oder die ehemaligen oder jetztigen PGs mit ihren ihren kleinen aber oft auch gemeinen Geheimnissen. Und nicht zu vergessen das bescheidene Schloss als einzige Sehenswürdigkeit, wenngleich es als Lagerhalle für die LPG arg heruntergekommen ist.

Nach der Wende aber kehrt der Graf samt Gefolge zurück und sorgt für seinen schrägen Part im deftigen Geschehen, das auf hinreißende Weise 60 Jahre Nachkriegsgeschichte im Kleinen persifliert. Da schadet es kein bisschen, dass die selbst in der DDR aufgewachsene Autorin wiederholt ins Groteske übergeht, wenn sie mit ihrer lakonischen Sprache die Absurditäten der alltäglichen Ereignisse treffsicher seziert. Das ist ebenso schreiend unwirklich wie lebensnah und die häufigen Dialekt-Dialoge setzen dem herzhaften Lesevergnügen noch die Krone auf.

 

# Kerstin Hensel: Lärchenau; 446 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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