N. ENGLANDER: „DAS MINISTERIUM FÜR BESONDERE FÄLLE"

Kaddisch Poznan ist ein wahrer Außenseiter, nicht nur als Jude sondern als Jude in Argentinien und obendrein auch noch schief angesehen bei den anderen Juden vor Ort. Und Kaddisch mit der dicken jüdischen Nase ist der Sohn einer Hure, für Ehefrau Lillian eine ziemliche Enttäuschung und für den intelligenten Sohn Pato ein stetes Ärgernis. Zudem muss Lillian den Unterhalt als Angestellte betreiben, weil ihr Mann statt große Ziele zu verfolgen nur noch mit einer beschämenden Nachtarbeit ein wenig Geld hinzuverdient, indem er auf dem Sonderteil des Friedhofs die Namen jener jüdischen Vorfahren entfernt, die Gauner, Huren oder Zuhälter waren.

Was sich so ausgesprochen skurril anhört, fesselt jedoch im Nu mit seiner Ernsthaftigkeit, denn das Geschehen in Nathan Englanders grandiosem Debütroman „Das Ministerium für besondere Fälle" spielt zur Zeit der Diktatur des Generals Videla, als die Militärjunta von 1976 bis 1983 den sogenannten „Schmutzigen Krieg" gegen die eigene Bevölkerung führte. Ihre widerwärtige Spezialität war das Verschwindenlassen von Studenten, Gewerkschaftern und anderen Verdächtigen. 30000 Menschen sollen auf heimlich-unheimliche Weise verschleppt, gefoltert und ermordet worden sein.

Der junge jüdische US-Autor Englander lebte selbst einige Zeit in Argentinien und war um so entsetzter, als er erst viel später erfuhr, dass es nach dem Putsch eine besondere Verfolgung der jüdischen Bevölkerung gab. Das erklärt die teils aberwitzigen Versuche der Anpassu ng, wenn Kaddisch zum Beispiel mit einem Schönheitschirurgen einen Handel macht: er wird für ihn auf dem Friedhof tätig, dafür bekommt die Familie neue Nasen. Was Pato übrigens strikt ablehnt. Dessen Schutz gilt dann Vaters absurde Bücherverbrennung in der Badewanne, nur für den Fall des Falles.

Als genau der jedoch eintritt, indem eines Nachts graue Herren erscheinen und ihn abholen, erweist sich Vaters Bücherauswahl als fatal fehlerhaft. Und es beginnt der wahrhaft tragische Teil der Geschichte, als die Eltern nun auf die Suche nach Pato gehen, Bittgänge und Bestechungsversuche machen und immer wieder in jenem gefürchteten – authentischen! - rosa Gebäude an der Plaza Mayor Hilfe suchen, das als Ministerium für besondere Fälle in seiner kaltherzigen Absurdität den bürokratischen Zynismus der Diktatur und ihrer Schergen auf beklemmende Art spürbar macht.

Schikanen und rohe Gewalt, ein Horror, der nur angedeutet wird und doch auch so schon erschauern lässt – was anfangs zuweilen nur makaber und zugleich schwarzhumorig daherkam, wird zum Drama. Alle Versuche laufen fehl, die Behörden stellen sich unwissend und die lähmende Erfolgslosigkeit entzweit die Eltern, wenn Kaddisch nur noch hofft, den toten Sohn wenigstens bestatten zu können, während Lillian ihn jeden Moment um die Ecke kommen zu sehen meint.

Auf höchst abgründige Weise unpolitisch bleibend, gelingt es dem Autor dennoch in einer Mischung von Stilelementen Isaac Singers und Franz Kafkas, die ganze Unmenschlichkeit der argentinischen Diktatur auszubreiten. Verfolgte Juden und der „Schmutzige Krieg" der argentinischen Militärs – dieser große Roman setzt beidem ein ebenso packendes wie meisterhaft gelungenes Denkmal, das unvergesslich bleibt.

 

# Nathan Englander: Das Ministerium für besondere Fälle (aus dem Amerikanischen von Michael Mundhenk); 445 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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