J.M. COETZEE: „TAGEBUCH EINES SCHLIMMEN JAHRES"

Eine Art Kammerspiel mit drei Stimmen zieht J. M. Coetzee in seinem neuen Roman „Tagebuch eines schlimmen Jahres" auf. Der südafrikanische Literaturnobelpreisträger, der selbst seit 2002 in Australien lebt, führt den Leser dabei in einen Apartmentkomplex in Sydney und seine Hauptfigur ist ein alternder Schriftsteller und spätestens mit dessen Namen J.C. und seiner Herkunft vom Kap der Guten Hoffnung drängt sich der Gedanke an Autobiographisches unweigerlich auf.

JC hat einen Erfolgsroman geschrieben und verfasst derzeit tiefschürfende politische und philosophische Essays über aktuelle Themen für den Sammelband „Feste Ansichten", den ein deutscher Verleger herausbringen will. Doch in seine grüblerische Langeweile tritt eines Tages im Waschsalon des Komplexes die attraktive Anya, eine arbeitslose 29-jährige Philipinin. Sie setzt fast vergessene Gedanken im Kopf des alten Herrn wieder in Gang und mit einem schlichten Trick gelingt ihm auch die Kontaktaufnahme. Umgehend lässt sich die kokette Serviererin von ihm zum Abschreiben seiner Texte anheuern. An sich hätte sie das gar nicht nötig, denn ihr sexgieriger Partner Alan sorgt gut genug für sie, doch das Angebot schmeichelt ihr und sie hat ja Zeit.

Während Anya nun die bitteren Kurzessays des Alten abtippt, ergeben sich erste Gespräche, bei denen sie ihm mit ihren sehr unakademischen Sichtweisen Gelegenheit zu Belehrungen und zu Zweifeln gibt. Das Besondere an diesem Roman ist dabei die ungewöhnliche Unterteilung zwischen Essays und Dialogen, denn die sind auf jeder Seite parallel angeordnet. Wie eine Schichttorte findet sich da zunächst der ernste literarische Teil – der für sich allein das Buch kaum tragen könnte – dem dann die Gedanken und Worte der Protagonisten gegenüberstehen.

Es wird zu einer Herausforderung, auszuwählen, in welcher Reihenfolge man die einzelnen Schichten goutieren möchte. Zumal auch noch Dialoge zwischen Anya und ihren ebenso unsensiblen wie geldgierigen Lover hinzukommen. Der wittert außerdem eine Gelegenheit, über Anyas Verbindung und mit seinen eigenen Kenntnissen als Finanzmakler das Vermögen JCs ein wenig anzuzapfen. Dabei gewinnt vor allem die junge Frau in ihrem Zwiespalt zwischen dem rüden Liebhaber und dem altersgeilen platonischen Verehrer an eigener Statur.

Das steuert dann allerdings nicht auf ein großes Finale hin, vielmehr ist hier der außergewöhnliche Weg mit seiner meisterhaften Darstellung das Ziel. Und der eigentliche Genuss, denn auch ohne zwingenden Plot ist dieser meisterhaft geschriebene kleine Roman ein anspruchsvolles Lesevergnügen.

 

# J. M. Coetzee: Tagebuch eines schlimmen Jahres (aus dem Englischen von Reinhild Böhnke); 236 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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