ROSWIN FINKENZELLER: „DAS PHÄNOMEN KARAJAN"

Am 5. April dieses Jahres wäre Herbert von Karajan 100 Jahre alt geworden, Anlass für Rückblicke und Biographien. Dass eine solche nicht schwergewichtig und bleiern von Faktenhuberei und Deutungsversuchen sein muss, beweist der Journalist und Musikexperte Roswin Finkenzeller mit seiner Hommage an das Jahrhundertgenie unter dem Titel „Das Phänomen Karajan – Ein Divertimento".

Tatsächlich bietet er ein dementsprechendes unterhaltsames Vergnügen und dennoch glänzt sein kleines Büchlein mit erstaunlichen Charakterzeichnungen und Details, wobei ihm zugute kommt, dass er den Maestro viele Male in seinem Element erlebt und ihn auch persönlich kennengelernt hat. Gleichwohl geht Finkenzeller die Vita des Salzburger Arztsohnes, der sein Dirigentendebüt bereits mit 20 Jahren gab, bei aller Sympathie durchaus kritisch an, macht aber auch weniger Positives durch den mal charmanten, mal ironischen Ton zum echten Lesevergnügen.

Das gilt insbesondere für Karajans vermeintlich rätselhaft frühen Eintritt in die NSDAP, den der Autor als reinen Opportunismus entlarvt, jedoch mit einer fast schon witzigen Begründung: nicht um die ohnehin schon florierende Karriere zu fördern sondern – um seine Ruhe vor den Nazis zu haben. Sehr glaubhaft beschreibt der Kenner die Hingabe des Maestro an sein Werk, für das er notfalls auch mit dem Teufel paktiert hätte. Und der kleine drahtige Besessene mit dem Feldherrenblick, der Löwenmähne und den eleganten Bewegungen wird noch einmal höchst lebendig in der gekonnten Beschreibung.

Mit Herrschertalent, extrem feinem Gehör und vollendeter Souveränität formte Karajan aus „seinen" Berliner Philharmoniker wie auch aus deren Wiener Pendants Orchester von Weltklasse. Wenn der ungeduldige Meister dann unzählige Proben forderte, beruhte dies auf seiner Auffassung, dass wahre Sternstunden künstlerischer Leistungen außer auf Talent eben auch auf harter Arbeit beruhen. Zum größten von vielen Höhepunkten gehörte wohl 1967 seine triumphale Einführung der Salzburger Osterfestspiele, die Finkenzeller ebenso ausführlich wie fesselnd beschreibt. Doch Karajan war ja auch ein Genie, das mit schnellen Autos, Yacht und Pilotenschein zum Jet-Set zählte, hier wird jedoch aufgedeckt, dass der Frauenschwarm in Wirklichkeit ein Partymuffel war.

Natürlich erwähnt der Autor auch viele wichtige Mitstreiter oder Rivalen des Maestro, aber auch dessen großes Interesse an technischen Neuerungen, das mit zu der reichen Hinterlassenschaft an Schallplatteneinspielungen führte. Fazit: eine kleine aber feine Biographie zu einem großen Mann, die neues Interesse an seinen Werken und vielleicht auch an einer großen eher wissenschaftlichen Biographie weckt.

 

# Roswin Finkenzeller: Das Phänomen Karajan – Ein Divertimento; 142 Seiten, ill.; Societäts-Verlag, Frankfurt; € 14,80

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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