TOM SEGEV: „DIE ERSTEN ISRAELIS"

Als David Ben Gurion am 14. Mai 1948 die Gründung des Staates Israel verkündete, war der Jubel unter den Juden zwar groß, doch noch in derselben Nacht brach der erste israelisch-arabische Krieg aus und das Bestehen gegen die weit überlegenen Feinde war nur eine von vielen gigantischen Herausforderungen für den jungen Staat. Tausende von Einwanderer mussten integriert werden, Siedlungen errichtet, ein Bildungswesen, eine Industrie und die allgemeine Versorgung aufgebaut werden.

Tom Segev, einer der versiertesten israelischen Historiker, verfasste dazu bereits 1986 ein vor allem von Juden kontrovers diskutiertes Werk, das erst jetzt zum 60. Geburtstag Israels auch auf Deutsch vorliegt: „Die ersten Israelis. Die Anfänge des jüdischen Staates". Segev, dessen Vater im 48-er Krieg fiel, zeichnet darin ein detailliertes Gemälde der ersten Generation von Israelis mit all ihren Widersprüchen. Unsentimental und ausgewogen ist es ihm gelungen, dabei erlebte er selbst eine Reihe von Schockerlebnissen bei seinen Recherchen, die sich weitgehend auf authentische und meist sogar amtliche Dokumente stützen.

Das war nicht das, was man mir in der Schule beigebracht hatte!" Der gepflegte Mythos, dass in Israel eine gerechte Gesellschaft ohne Diskriminierung aufgebaut wurde, der große Zusammenhalt, das allgemeine Heldentum angesichts übermächtiger Feinde rundherum, er erwies sich als brüchig. Eine Notgemeinschaft war dieser neue Staat mit einer Bevölkerung, die schon damals in sich tief gespalten war zwischen Holocaust-Überlebenden und Siedlern der ersten Stunde, zwischen pragmatischen Zionisten und orthodoxen Fanatikern und nicht zu vergessen: dieses Gelobte Land war nicht leer sondern von einigen 100.000 Palästinensern bewohnt.

Segev räumt mit vielen Legenden auf und legt offen, dass sich die gleichwohl faszinierende Erfolgsgeschichte Israels weniger ehrenwert und heldenhaft entwickelt hat, als die offizielle Lesart es verkündet. Es waren charismatische Führer wie Ben Gurion, die Israels Überleben und den schwierigen Aufbau bewerkstelligten. Zugleich machten dieselben Führer eine Reihe der verhängnisvollen Fehler, die mit Schuld daran tragen, dass die Konflikte im Nahen Osten und insbesondere mit den Palästinensern bis heute kaum überwindbar erscheinen.

In vermeintlicher Feindschaft gegenüber dem Zionismus schildert Segev die Blindheit, mit der selbst ein Ben Gurion 1949 bei den Waffenstillstandsverhandlungen viel zu hoch pokerte und außerdem die einigende Kraft von Exil und Heimweh ignorierte, die hunderttausende von geflüchteten oder teils brutal vertriebenen Palästinenser so unnachgiebig macht. Zugleich lässt der Autor in seinem Vorwort zur deutschen Buchausgabe keinen Zweifel an seiner Grundhaltung gegenüber seiner Heimat: „Ich identifiziere mich mit den ersten Israelis und bin manchmal neidisch auf sie, weil sie bei der Geburt einer der dramatischsten Erfolgsgeschichten des 20. Jahrhunderts dabei waren."

Fazit: ein aufschlussreiches und dabei wohltuend selbstkritisches Buch zur Entstehung des modernen Israel, ebenso authentisch wie spannend geschrieben.

 

# Tom Segev: Die ersten Israelis. Die Anfänge des jüdischen Staates (aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm und Hans Freundl); 414 Seiten, div. Abb.; Siedler Verlag, München; € 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: SB 222 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de