SCOTT TUROW: „BEFANGEN"

In seinem neuen Roman „Befangen" stellt Scott Turow seinen schon bekannten Strafverteidiger George Mason wieder in den Mittelpunkt, allerdings ist der inzwischen zum Richter am Berufungsgericht in Kindle County, Illinois, aufgestiegen. Gleich drei Probleme drücken den 59-Jährigen, denn er muss nicht nur in einem komplizierten Vergewaltigungsprozess entscheiden, er erhält anonyme Drohungen per Mail und privat sorgt er sich um die krebskranke Ehefrau.

Jurist Turow eröffnet mit den Beratungen über den Fall eher ein intelligentes Kammerspiel als einen actionreichen Krimi, dennoch fesselt dieser Gerichtsroman vor allem dank der Verdrehtheiten des Gesetzes, mit dessen Tücken es selbst dem ehrenwerten Richter Mason kaum gelingt, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Der Fall „Das Land gegen Warnovits u.a." weist die typischen Fallstricke US-amerikanischer Rechtsprechung auf und droht bei Aufhebung des erstintanzlichen Urteils zu mehrjährigen Haftstrafen zu einem skandalösen Ergebnis zu kommen.

Dabei schien die Sachlage eindeutig: Warnovits und seine drei Mitangeklagten hatten auf einer Party die bis zur Besinnungslosigkeit betrunkene Mindy gemeinsam vergewaltigt. Der junge Bursche hielt das Geschehen in allen Einzelheiten auf einem Video fest, das sämtliche Widerwärtigkeiten der Tat explizit wiedergibt. Die 15-Jährige aber erfuhr erst vier Jahre danach, was man ihr während des Blackouts angetan hatte, weil Warnovits sich einmal zu viel mit dem Video brüstete. Nun jedoch berufen sich die Täter nicht nur auf die Verjährungsfrist, die wegen der verspäteten Anzeige abgelaufen sei, ein besonderer Umstand könnte dem Rechtsempfinden noch mehr ins Gesicht schlagen – inwieweit durfte das ja illegal vom Täter gedrehte Video überhaupt als Hauptindiz vor Gericht akzeptiert werden?!

Während das Trio der Berufungsrichter um die Buchstaben der Gesetzesvorschriften streitet, fühlt sich Mason schmerzlich durch Erinnerungen aufgewühlt, die ihn insgeheim befangen mach en. Als Student hatte er in einem ähnlichen Fall der Betroffenen nicht geholfen und sich dadurch mitschuldig gemacht. Mittlerweile nehmen aber auch die Bedrohungen per Mail an Schärfe zu und hier bleibt die Quelle ebenso mysteriös wie der Hintergrund eines Überfalls auf den Richter.

Mag dieser Roman auch nicht zu den stärksten Turows zählen, so zeigt er doch einen authentischen Blick in den Gerichtsapparat und wie die meisterhaft ausgeformten Charaktere überzeugen auch die widersprüchlichen Gedanken über Recht und Gerechtigkeit.

 

# Scott Turow: Befangen (aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann); 303 Seiten; Karl Blessing Verlag, München; € 16,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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