PHILIP ROTH: „EXIT GHOST"

Philip Roth ist unzweifelhaft einer der größten Schriftsteller unserer Zeit und längst überfällig für den Literaturnobelpreis. Bald wird er 75 und dennoch kann man seinen neuen Roman „Exit Ghost" nicht als das Alterswerk bezeichnen, denn bei der immer noch unerschöpflich erscheinenden Kreativität des Autors sind durchaus noch weitere Meisterwerke zu erwarten.

Das Ende allerdings könnte dieser zehnte Auftritt für Nathan Zuckerman bedeuten, denn das inzwischen 71-jährige Alter Ego Roths verschwindet zum Schluss wie auf die titelgebende Shakespearsche Regieanweisung hin. Zuvor aber hat er noch einmal einen grandiosen Auftritt an alter New Yorker Wirkungsstätte. Dabei hatte er sich doch aus ebenso triftigen wie tristen Gründen so vollständig in die Abgeschiedenheit der Provinz zurückgezogen, dass er nicht mal mehr den Fernseh- oder Zeitungsnachrichten folgte.

Was du nicht hast, musst du entbehren" und das tut er auf entschiedene Weise seit über acht Jahren, altersbedingt. Tatsächlich war das Alter ungnädig mit ihm, denn eine Protataoperation machte ihn impotent mit der zusätzlich demütigenden Peinlichkeit der Inkontinenz. Doch selbst bei einem Intellektuellen wie ihm stirbt die Hoffnung zuletzt und so lockt ihn die Aussicht auf einen kleinen, vielleicht hilfreichen urologischen Eingriff nach New York zurück. Und der vermeintlich so Abgeklärte stolpert zurück ins Leben, als er während der Wartezeit nach dem ersten ambulanten Eingriff auf die Annonce des jungen Schriftstellerpaares Jamie und Billy stößt, das just hier ein Apartment zum Wohnungstausch auf Zeit anbietet.

Hinzu kommt die Begegnung mit Amy, der todkranken Geliebten des von Zuckerman einst bewunderten aber fast vergessenen Autors Lonnof sowie mit einem rüpelhaften Jungautoren, der eine Biographie eben dieses Lonnof verfassen will und dafür einen bisher unbekannten privaten Sündenfall Lonnofs als Aufhänger verwenden will. Was Zuckerman verabscheut, weil dieser Kliman sein früheres Idol damit skandalisieren würde. Aber bei der Genialität Roths hängt fast immer alles mit allem zusammen und so steht die begehrenswerte Jamie nicht nur umgehend und schmerzlich unausweichlich im brennenden Mittelpunkt von Zuckermans Rückfall ins Leben – der verabscheute Kliman scheint auch noch ihr heimlicher Liebhaber zu sein.

Noch wichtiger jedoch ist das von Jamie wiedergeweckte Lodern all der eingeschlafen geglaubten Instinkte, die auch das Altern nicht wirklich beseitigt. Der „Geist des Begehrens" bringt Zuckermann aus dem Gleichgewicht und es sind bewegende Szenen, die diese nun wahrhaft unstillbaren Begierden sowohl in der Handlung wie auch in erdachten Theaterdialogen des ehedem so virilen Mannes erzeugen: „Mit 71 erfuhr ich, was geistige Verwirrung ist", entfährt es Zuckermann bei klarem Verstand. Zusätzliche Würze erhält der virtuose Roman zudem durch die raffinierte zeitliche Einbettung des Geschehens in die Tage der Wiederwahl George W. Bushs, über die Jamie in wütende Verzweiflung gerät.

Das Alles fasst Roth mit einer hinreißenden selbstverständlich wirkenden Leichtigkeit in brillante Sätze und die bekannte Präzision seiner Bilder fasziniert ein ums andere Mal. Fazit: Philip Roth kann offenbar nur Meisterwerke und dies ist hoffentlich nicht sein letztes.

 

# Philip Roth: Exit Ghost (aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren); 297 Seiten; Carl Hanser Verlag, München; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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