RUSSELL H. GREENAN: „IN BOSTON?"

Vor fast 40 Jahren wurde „In Boston?" schlagartig zum Kultbuch und sein Autor Russell H. Greenan ließ weitere hochgelobte Werke folgen. Das meisterhafte Debüt geriet bald jedoch nahezu in Vergessenheit, erlebte dann 1993 eine Neuauflage in den USA, doch erst jetzt scheint es endlich auch bei uns die Chance zu bekommen, die längst überfällig war.

Geradezu fieberhaft schrieb der Jungautor diesen Irrsinns-Kunstkrimi damals nieder und überwältigt noch heute mit einem ebenso rauschenden wie zeitlosen Fest überschäumender Fantasie. Im Mittelpunkt steht als Ich-Erzähler der hochbegabte aber mittellose Maler und Bildhauer Alfred Omega. Einen großen Teil seiner Zeit verbringt er im Bostoner Public Garden damit, sich in Ereignisse zu anderen Zeiten an anderen Orten zu träumen. Er nennt es eine Art Bewusstseinsverschiebung, doch mit der gleichen intensiven wie skurrilen Vorstellungskraft legt er sich gang nebenher auch mit Gott an.

Seine Freunde Benjamin Littleboy und Leo Faber sind ebenfalls Maler und im Park quängelt der hinreißende achtjährige Randolph mit mal neunmalklugen, mal auch einfach nervenden Fragen um ihn herum. Zur weiteren Schar weitgehend seltsamer bis schräger Figuren gesellt sich schließlich der Kunsthändler Victor Darius und mit ihm bekommt die vielfach gewundene und zuweilen recht querdenkerisch angelegte Geschichte einen entscheidenden Schub. Darius erkennt sofort, dass Alfred nicht nur äußerst begabt in der Kunst der alten Meister ist, sondern auch diesen einzigartigen charakteristischen Pinselstrich Leonardo da Vincis hat.

Ja, es bahnt sich ein raffinierter Kunstbetrug an und Darius geht raffiniert und mit der Skrupellosigkeit eines Mephisto ans Werk dabei, doch die bis zuletzt fesselnde Geschichte eröffnet weit mehr als diese Grundlinie des Krimis. Mal funkeln da hinreißende Gespräche, mal zieht melancholische Düsternis durchs Erzählte. Um von der nächsten Überraschung oder gar durch tiefschwarzen Humor aufgelöst zu werden. Voller verschrobener Typen, Zeitsprünge und Kuriositäten steckt dieser Roman, der zwischendurch sogar mit einigen unschönen Todesfällen aufwartet.

Der eigentliche Plot ist viel komplizierter, als es zunächst scheint, und kann schon deshalb kaum mit wenigen Sätzen verraten werden. Hinzu kommt eine Überfülle an Wissen, das jedoch so intelligent eingeflochten ist, dass es weder nervt noch langweilt. Und schließlich klingt vieles derartig verrückt, dass es schon wieder real gewesen sein könnte. Fazit: wer sich auf dieses geistreich verdrehte Meisterwerk einlässt, erlebt ein ungewöhnliches und immer wieder ausgesprochen süffisantes Lesevergnügen.

 

# Russell H. Greenan: In Boston? (aus dem Amerikanischen von Pociao); 379 Seiten; SchirmerGraf Verlag, München; € 22,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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