RENATE DORRESTEIN: „MEIN SOHN HAT EIN SEXLEBEN..."

Über die vielfältigen Probleme der Pubertät gibt es reihenweise Romane und auch die Molesten alternder Männer mit dem Verlangen und dem Können sind sogar schon von Spitzenromanciers wie Philip Roth in aufschlussreiche Geschichten gefasst worden. Wo aber blieb bisher der Roman über die Probleme der Frau etwa ab 50, wie sie der Statistik nach 80 Prozent aller Westeuropäerinnen mehr oder weniger durchmachen?!

Die niederländische Erfolgsautorin Renate Dorrestein war recht erstaunt, als sie „Mein Sohn hat ein Sexleben und ich lese meiner Mutter Rotkäppchen vor" veröffentlichte und damit für großes Aufsehen selbst im liberalen Holland sorgte. Ihre Heldin Heleen ist um die 50, glücklich verheiratet, ihre Kinder im Teenageralter werden soeben flügge und an sich könnte sie zufrieden sein. Wenn da nicht diese Auswirkungen der beginnenden Wechseljahre wären von Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, Unannehmlichkeiten im Intimbereich bis hin zu dieser schon monatelangen Unlust am Sex.

Die Situation verschärft sich nun, als ihre dominante und sehr selbständige Mutter plötzlich durch einen Gehirnschlag zum Pflegefall wird, einschließlich galoppierendem geistigen Verfall samt komischer bis grotesker Begleiterscheinungen. Statt ruhiges Fahrwasser als Frau im mittleren Alter also eine Sandwichstellung zwischen den Kindern, die zunehmend ihre eigenen Wege gehen, und der Elterngeneration, die nach jahrzehntelanger Elternpräsenz nun hilfbedürftig und oft genug mit wachsender Demenz auch zu einer großen psychischen Belastung werden. Und das in einer Zeit, die ohnehin durch dieses quasi tabuisierte Element der Menopause problembeladen ist und hoffnungslos unsexy macht.

Die Autorin, die selbst exakt in diesem Alter ist, entwickelt ein Szenario, das in vielem exemplarisch sein dürfte, und es gelingt ihr ohne Wehleidigkeit. Doch man sollte von dem durchaus treffenden Titel sowieso nicht auf eine womöglich gar leichte Komödie schließen. Manche Szenen reizen zum Lachen, doch oft genug bleibt einem dieses Lachen bei der sehr authentischen Geschichte schnell im Halse stecken, denn die Tragik hinter dem Geschehen schimmert bei allem bitteren Humor und manchem Sarkasmus unerbittlich durch.

Dieser Roman ist mitten aus dem Leben geschrieben und wirft manche Sinnfrage auf. Zugleich reißt er endlich den Vorhang beiseite, hinter dem ein solch weitbverbreitetes Problemfeld zu Unrecht verborgen wurde. Fazit: ein wichtiges Buch nicht nur für betroffene Frauen und ein fesselnder Lesestoff obendrein.

 

# Renate Dorrestein: Mein Sohn hat ein Sexleben und ich lese meiner Mutter Rotkäppchen vor (aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers); 287 Seiten; C. Bertelsmann Verlag, München; € 16,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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