PETER MERSEBURGER: „RUDOLF AUGSTEIN"

Rudolf Augstein verkörperte den Ehrentitel „Journalist des Jahrhunderts" und „World Press Freedom Hero" wie kein Anderer und die Deutschen haben dem Unbequemen viel zu verdanken, denn er etablierte die Presse als vierte Gewalt im Staate und damit einen unverzichtbaren Garanten der Demokratie. Diesem ebenso großen wie in sich oft widersprüchlichen Mann eine angemessene Biographie zu schrieben, war eine Herausforderung.

Peter Merseburger hat sie großartig bewältigt in seinem schlicht „Rudolf Augstein" überschriebenem Werk und wenn ihm dies sachlich und ohne Heldenverehrung geraten ist, dann vielleicht nicht zuletzt dank der harten Schule als SPIEGEL-Redakteur, die der Spitzenjournalist selbst für fünf Jahre durchlief. Zudem hat Merseburger bei seinen sehr intensiven Recherchen als Erster Einblick in Augsteins Unterlagen und Korrespondenz nehmen können. Nicht nur für jene, die den nach eigenen Worten gnadenlosen Realisten als Anführer einer linken Kampfpresse anprangerten, bergen die gründlichen Analysen des Biographen einige Überraschungen, wenn zum Beispiel deutlich wird, dass Augstein nie ein Linker war sondern vielmehr ein echter Nationalliberaler.

Das erhellt bereits der eingehend ausgeleuchtete Werdegang des Jungen aus einer vielköpfigen Familie, die mit rheinisch-katholischem Hintergrund im protestantischen Hannover lebte. Dort 1923 geboren, wuchs Augstein hinein in die Nazi-Diktatur, erlebte daheim jedoch eine zwar gut nationale aber auch entschieden anti-nazistische Prägung. Der intellektuell brillante Jüngling mit den künstlerischen Talenten empfand den Nationalsozialismus denn auch als „ein Attentat auf den Geist" und seine hochgradig ausgeprägte Abneigung gegen jegliche Autoritäten findet dann in der Nachkriegszeit in einer der zahlreichen glücklichen Fügungen seines Lebens das passende Ventil.

Den gerade 23-jährigen Ex-Artillerieleutnant mit der kurzen Redakteursausbildung wählen die britischen Besatzer aus, in Hannover ein Nachrichtenmagazin aufzuziehen. Da „Diese Woche" sogleich nicht nur obrigkeitskritisch startet sondern auch die Besatzungspolitik anprangert, gehen die Initiatoren auf Abstand und ab 1. Januar 1947 entsteht der eigenständige SPIEGEL. Mit seiner Mischung aus Charisma, Ehrfurchtsverweigerung und nationaler Gesinnung wird Augstein zum schärfsten Gegner Adenauers als „Kanzler der Alliierten", der die Wiedervereinigung zugunsten der West-Integration aufs Spiel setzt. Hier lag auch die wichtige Gemeinsamkeit mit Willy Brandt, der wie er die deutsche Einheit niemals preisgab.

Mindestens so heftig aber bekämpfte der Publizist Franz-Josef Strauß, den er nach persönlichem Kennenlernen für gefährlich hielt. Tatsächlich führte Augstein als „Sturmgeschütz der Demokratie" einen so vehementen Kreuzzug gegen den Bayern, dass es 1962 zur SPIEGEL-Affäre kam. 103 Tage muss Augstein wegen angeblichen Landesverrats in Untersuchungshaft und das Schicksal des Magazins scheint besiegelt. Am Ende dieser schwersten innenpolitischen Krise der jungen deutschen Republik jedoch ist Augstein der Held und der SPIEGEL wird endgültig zu einer Instanz, die den Absprung vom Obrigkeitsstaat zur liberalen Gesellschaft gebahnt hat.

Augsteins großen Jahren folgen aber auch einige Missgriffe wie jene Kandidatur für den Bundestag, in den er 1972 für die FDP einzog, um schon bald den großen Irrtum seiner Vorstellungen mit dem Verzicht zu bestätigen. Und der „positive Zyniker" war auch im Privatleben ein unruhiger Geist, der als charmanter Macho fünf Ehefrauen und zahllose Liebschaften hatte, doch erst in der späten letzten Ehe ein beständiges Glück fand. Seine Versuche auf anderen Feldern zeitigten teils umstrittene Erfolge wie sein provokantes Sachbuch „Jesus Menschensohn", teils waren es erfolglose Ausbruchsversuche vom SPIEGEL.

Fazit: Autor Merseburger erweist sich als scharfsinniger Analytiker und glänzender Historiker und zumindest stilistisch wäre auch Augstein selbst gewiss zufrieden mit seinem ehemaligen Mitarbeiter gewesen. Diese meisterhafte Werk ist außer einer Biographie zugleich eine hervorragende Darstellung deutscher Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts geworden.

 

# Peter Merseburger: Rudolf Augstein. Biographie; 560 Seiten, div. Abb.; DVA, München; € 29,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: Bio 214 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de