HUGH BARNES: „DER MOHR DES ZAREN"

Eine der ungewöhnlichsten und im Sinne des Wortes farbigsten Gestalten der russischen Geschichte ist Abram Petrowitsch Gannibal (1696-1781). Ein wesentlicher Grund für den geringen Bekanntheitsgrad dürfte im tief verwurzelten Rassismus Russlands liegen, denn Gannibal war Schwarzafrikaner, vermutlich aus dem Tschad.

Diesem von höchst ungenauen Biographien und manchen Mythen verzerrtem Bild einer höchst interessanten Persönlichkeiten ist nun der britische Russlandexperte Hugh Barnes nachgegangen und hat nach intensiven Recherchen mit „Der Mohr des Zaren" die Vita des geheimnisvollen Vertrauten von Zar Peter dem Großen auf wissenschaftlich fundierte Füße gestellt. Nach der zunächst zähen Auflösung zahlreicher Irrtümer und Verklärungen bisheriger Berichte gestaltet sich diese Biographie zu einer spannenden Lektüre voller Überraschungen.

Schon der Weg des mutmaßlichen Abkömmlings einer abessinischen Fürstenfamilie an den Zarenhof erscheint wie der Stoff aus einem Abenteuerroman, denn der etwa Siebenjährige kam als Sklave an den Hof des osmanischen Sultans in Konstantinopel und von dort als Geschenk zu Zar Peter. Der exzentrische Hüne, der Neues geradezu gierig aufsog, nahm den kleinen Mohren als Ziehsohn auf, wurde sein Taufpate und hielt ihn sich viele Jahre als Sekretär und Vertrauten.

Unter seinem jetzigen Namen Gannibal machte der Exot eine einzigartige Karriere dank seiner überragenden Talente in Mathematik und anderen Wissenschaften. Er begleitete Zar Peter auf dessen Reise nach Westeuropa, die der fanatische Neuerer unternahm, um Schiffsbau, Waffenkunde und anderes zu erforschen. Gannibal blieb auf Peters Geheiß für weitere Militärstudien noch einige Jahren in franzöischen Diensten, wo er unter anderem freundschaftliche Kontakte zu Geistesgrößen wie Diderot, Montesquieu und auch Voltaire pflegte, der ihn sogar „den dunklen Stern der russischen Aufklärung" nannte. Nach der Rückkehr war der dunkelhäutige Krauskopf jedoch auch Ziel von Eifersucht und Missgunst und so folgte nach Peters Tod 1725 bald eine Quasi-Verbannung nach Sibirien.

Doch schon 1730 wurde Gannibal wegen seiner überragenden Fähigkeiten in militärischen Dingen zurückgeholt und er stieg sogar zum obersten Militäringenieur auf, der ab 1741 unter Zarin Elisabeth auch bei Hofe gern gesehen wurde. Im Range eines Generalmajors wurde er schließlich für zehn Jahre Gouverneur von Tallinn. Das Privatleben des ersten schwarzen Intellektuellen war ebenfalls sehr bewegt, seine zweite Ehe mit einer deutsch-skandinavischen Adeligen aber offenbar glücklich. Unter ihren Kindern war auch Osip, dessen Tochter Nadeschda die Mutter von Alexander Puschkin werden sollte. Der russische Nationaldichter war übrigens nachweislich stolz auf den afrikanischen Ahnen.

Der Autor hat dies und noch viel mehr zu einem faszinierenden Gemälde zusammengetragen und damit eine Legende ins rechte Licht gerückt, die dem großen Publikum bisher zu Unrecht weitgehend vorenthalten worden ist.

 

# Hugh Barnes: Der Mohr des Zaren (aus dem Englischen von Michael Müller); 428 Seiten, div. Abb.; Knaus Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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