PETER CONRADI: „HITLERS KLAVIERSPIELER"

Man müsste Klavier spielen können" hieß einer der beliebtesten Vorkriegsschlager und die Beherrschung dieser Kunst machte damals aus Ernst Hanfstaengl (1887-1975) eine der unglaublichsten Figuren des 20. Jahrhunderts. Erst Förderer, enger Vertrauter und auch Hofnarr Hitlers, wurde er später ein Verbündeter Roosevelts.

Unter dem treffenden Titel „Hitlers Klavierspieler" hat Peter Conradi, Mitherausgeber der „Times", eine Biographie des Hünen mit der absolut romanhaften Vita verfasst, die die verschiedenen aberwitzigen Leben einer der Öffentlichkeit wenig bekannten Persönlichkeit beleuchtet und dabei dessen eigene, wenig erfolgreiche Autobiographie um einige Mythenbildungen entschlackt. Dabei darf die Bedeutung Hanfstaengls für den Aufstieg Hitlers ebenso wenig unterschätzt werden wie die für die spätere psychologische Kriegsführung der USA nach seinem Frontenwechsel.

Der zeitlebens Putzi gerufene gebürtige Bayer stammte aus einer der angesehensten Familien seiner Heimat, hatte durch seine deutsch-amerikanische Mutter aber zugleich so gute Beziehungen zu den USA, dass er sogar in Harvard studierte und später in der vornehmen New Yorker Fifth Avenue die familieneigene Gemäldegalerie übernahm. Als virtuoser Klavierspieler und Bonvivant machte der Student schon bald Furore und bekam als Mitglied des Harvard Clubs unter anderem solch wichtige Kontakte wie den zur Familie Roosevelt, sowohl der des amtierenden Teddy wie zu dem Zweig des späteren Kriegspräsidenten Franklin Delano Roosevelt (FDR).

Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte Putzi in die stark veränderte Heimat zurück. Inzwischen verheiratet mit der Deutsch-Amerikanerin Helene, lernt er den noch ungeschliffenen Adolf Hitler bei einer seiner elektrisierenden Reden in Münschen kennen, ist von dessen Auftreten fasziniert und sucht sofort den Kontakt. Schnell avanciert Putzi zum Vertrauten und Förderer des politischen Heißsporns, der sich seinerseits über diesen den Zugang zur besseren Gesellschaftz erhofft und sich zudem an dessen Klavierspiel ergötzt, das er auch später immer wieder einfordert, bevorzugt Wagner-Stücke.

Putzi ist sogar mittendrin in Hitlers amateurhaftem Putsch von 1923 und auf Hitlers Flucht vor der Polizei entgeht der Weltgeschichte eine einmalige Chance, als Putzis Frau ihn in ihrem Haus vor der Verhaftung im letzten Moment vom Selbstmord abhält. Natürlich behält Hitler den auslands- und medienerfahrenen Pianisten an seiner Seite, lässt sich auch finanziell unterstützen und Putzis Sohn Egon nennt den Paten sogar „Onkel Dolf". Der selbstherrliche Putzi geriet allerdings im engsten Kreise Hitlers zunehmend in die Rolle des eifersüchtig beäugten Hofnarrs.

Es ist vermutlich eine Goebbelsche Intrige, die Putzi 1937 um seine Leben fürchten und ins Ausland flüchten lässt, nachdem das Verhältnis zum Führer ohnehin seit 1934 abgekühlt ist. Über England und das kanadische Internierungslager rutscht der von allen Seiten wegen seiner Prinzipienlosigkeit misstrauisch beäugte Egomane mit dem messerscharfen Verstand 1942 in ein neues, kaum weniger unglaubliches Leben. Gegen den dauerhaften Widerstand der Briten nutzt der Vorläuferdienst der CIA den Nazi-Kenner als fleißig sprudelnde Informationsquelle und Putzis umfangreiches Wissen fließt in die psychologische Kriegsführung der Amerikaner ein.

Den Vogel schießt er jedoch mit seinem 68-seitigen präzisen Psychogramm über den Führer ab, denn das war nicht nur Roosevelts bevorzugte „Gute-Nacht-Lektüre", das ist bis heute eine der exzellentesten Insider-Studien über das Innerste des Dritten Reiches. Wobei es durchaus Pikantes gibt zum Beispiel über Einschätzungen sexueller Vorlieben samt Hanfstaengls Verdikt: „Eines der Dinge, die ich an Hitler nicht leiden konnte, waren all die Tunten um ihn herum."

Auch das weitere Leben des verrückten Kauzes schildert Conradi höchst lebendig und zum Schluss muss man sich als Leser die Fotos anschauen, um sich noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, dass dies kein ziemlich schräger Roman sondern die intensiv recherchierte Biographie eines seriösen Autors über eine echte Persönlichkeit der Zeitgeschichte ist. Fazit: nicht nur für historisch interessierte Leser eine hinreißende Lektüre, die man unbedingt auch Hollywood anempfehlen möchte.

 

# Peter Conradi: Hitlers Klavierspieler (aus dem Englischen von Gabriele Herbst); 448 Seiten, div. Abb.; Scherz Verlag, Frankfurt; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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