YAN LIANKE: „DEM VOLKE DIENEN"

Ein grandioses Kunststück ist Yan Lianke mit seinem Buch „Dem Volke dienen" gelungen, denn er hat eine treffsichere politische Satire in Form eines erotischen Romanes verfasst und für beide Genres geht diese Geschichte von Wu Dawang und der liebeshungrigen Liu Lian ins Meisterhafte.

Es ist die Zeit Mitte der 60er Jahre auf dem Höhepunkt des Mao-Kultes und dessen wüster Kulturrevolution. Gruppenführer Wu gilt als Mustersoldat seiner Division und deshalb holt ihn der Divisionskommandeur als Ordonnanz und Koch in seine abgeschottete Dienstvilla. Auch dort ist der einfache aber ehrgeizige Bauernbursche ein Ausbund an Disziplin und Kadavergehorsam. So sehr, dass er sogar den Avancen der attraktiven Gattin des Kommandeurs widersteht und damit beinahe den angesehenen und karrierefördernden Posten aufs Spiel setzt.

Doch die vom impotenten Ehemann frustrierte Liu, gelernte Krankenschwester und gerade erst 32, weiß, wo sie den braven Soldaten packen kann – Befehl und Gehorsam haben ihm die Parteikader so intensiv eingebleut wie die ehernen Gesetze des Großen Steuermannes Mao. Und kann es einen heiligeren Befehl geben als den, dem Volke zu dienen?! Eine Tafel mit dieser Losung steht auf dem Esstisch und als der Genosse Divisionskommandeur nun für zwei Monate zur Geheimkonferenz in der Hauptstadt weilt, teilt Liu dem nichtsahnenden Wu mit, wann immer die Tafel nicht an ihrem üblichen Platze stehe, benötige sie seine Hilfe in den oberen Gemächern, die sonst tabu für ihn sind.

Die erste „Einladung" der nackt wartenden Liu vergeigt er noch, dann jedoch beginnt eine Amour fou, deren politische Begleitumstände der Autor ebenso süffisant schildert, wie ihm erotische Szenen von seltener Qualität gelingen. „Dien dem Volke und zieh dich aus!" befiehlt die Unersättliche und Wu folgt dem bindenden Befehl mit höchstem Einsatz. Das eigentliche Verbrechen an den hehren Idealen der Revolution aber ist ja, dass sich die Beiden mit dieser äußerst sinnlichen Affäre pflichtvergessen hemmungslos der Lust hingeben und dies zum höchst privaten Vergnügen.

Und als ob das nicht reichte, gehen Mao-Ikonen dabei zu Bruch, sie zerfleddern in einer besonders wilden siebentägigen Liebesorgie die Mao-Bibel und begehen mit ihrer ausgeflippten privaten Konterrevolution gleich reihenweise todeswürdige Verbrechen. Es soll hier nicht verraten werden, mit welchen Überraschungen der wohl talentierteste Autor Chinas das Ganze enden lässt. Tatsache ist, dass das glänzend geschriebene aber auch herrlich subversive Märchen von Staats wegen verboten wurde und nun als Untergrundliteratur Kultstatus im noch immer roten Reich der Mitte genießt. Wer jetzt jedoch meint, die Schmähungen des Großen Steuermannes seien ja auch zu Recht unterbunden worden, der sei daran erinnert, dass Mao selbst bis ins hohe Alter im Privaten ein hemmungsloser Lüstling war.

 

# Yan Lianke: Dem Volke dienen (aus dem Chinesischen von Ulrich Kautz); 206 Seiten; Ullstein Verlag, Berlin; € 16,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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