TILMAN SPRECKELSEN: „GRALSWUNDER UND DRACHENTRAUM"

Wer Fantasy-Romane für eine Erfindung des 19. oder 20. Jahrhunderts hält, hat offenbar nie eine der zahlreichen Erzählungen aus der Artuswelt gelesen. Was aber entschuldbar ist, denn die gibt es überwiegend nur in mittelhochdeutschen oder schlecht nacherzählten Schriften. Um so verdienstvoller ist die Aufarbeitung dieses überaus reichen Geschichtsfundus durch Tilman Spreckelsen mit seinem Buch „Gralswunder und Drachentraum. Ein Streifzug durch die Artuswelt".

Auch Spreckelsen legt keinen Nachweis darüber vor, dass der legendäre Artus als Inbegriff des guten Königs eine historische Figur wäre, doch die Mythen um seine Gestalt bergen eine Schatzkammer archetypischer Geschichten und Motive jener verklärten Epoche der edlen Ritter, steter ehrenvoller Kämpfe und der frühen Minne um schöne Burgfräulein und verführbare Königsgattinnen.

Ausführlich recherchiert führt der Autor durch die nebulöse Herkunft all der Ursprünge, die offenbar in niedergeschriebener Form bis mindestens ins 9. Jahrhundert zurückreichen. Artus selbst wäre demnach im Jahre 542 auf den Tod verwundet ins mystische Avalon verschwunden, aber nach widersprüchlichen Darstellungen nicht auf ewig. Ebenso mythenreich sind aber auch all die anderen Gestalten von solch berühmten Zeitgenossen wie Gawan, Parzival, Lohengrin oder Lanzelot bis hin zu umworbenen Damen wie Guinever und Herzeloyde. Und nicht zu vergessen der geheimnisvolle Zauberer Merlin und die ganze Garde schrecklicher Drachen.

Manche der Helden und Heldinnen erscheinen als Vielfachtäter, Spreckelsen gelingt es jedoch, in einer ganzen Perlenkette von Kleinstromanen eine gewisse Ordnung in diesen wirren Kosmos zu bringen. Und er lässt den wohl am meisten adaptierten Text die farbenprächtige Kraft 1000 Jahre alter Fantasy entfalten – jenen „Roman de Brut" des Klerikers Wace, den dieser als erzählte Überlieferung im Jahre 1155 in anglonormannischer Sprache veröffentlichte.

Den Genuss dieser Sammlung macht nicht zuletzt die verhaltene Ironie in sämtlichen Texten aus. Zudem ist dieses edel aufgemachte Buch im Rahmen der Reihe „Die Andere Bibliothek" mit zahlreichen Bildern mit Darstellungen aus dem Mittelalter ausgestaltet, die ebenso fantasievoll wie künstlerisch ausdrucksvoll sind.

 

 

# Tilman Spreckelsen: Gralswunder und Drachentraum. Ein Streifzug durch die Artuswelt; 324 Seiten, div. Abb., im Halbschuber; Die Andere Bibliothek, Band 273/Eichborn Verlag, Frankfurt; € 28,50

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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