PAUL AUSTER: „REISEN IM SKRIPTORIUM"

Der Meister der vielschichtigen Verknüpfungen von Schicksal und doppelbödigem Zufall kehrt zurück zu seinen Wurzeln: Paul Austers neuer Roman „Reisen im Skriptorium" ist eine rätseldurchwirkte Novelle, die von Beginn an eine zunächst kaum merkliche, bald jedoch unentrinnbare Sogwirkung entfaltet.

Alles spielt in einem weißen Raum, nur möbliert mit einem Bett, einem Schreibtisch, einem bequemen Stuhl und einer Lampe. Das einzige Fenster ist verhängt, das nebenan liegende Bad zweckdienlich, die Zimmertür verschlossen, vielleicht sogar abgeschlossen. Alles dreht sich um den Insassen dieses Raumes, einem Mann von ungewisser Herkunft, gebrechlich, zur Inkontinenz neigend und vermutlich über 60, vom Autor hilfsweise Mister Blank genannt. Ob er Gefangener, Flüchtling oder Patient ist, bleibt so ungewiss wie seine Erinnerungen an Personen und Geschehnisse.

Fotos und ein Manuskript auf dem Schreibtisch lassen von Zeit zu Zeit Dinge aufblitzen, ohne eine Gewissheit oder gar ein umfassendes Bild zu formen. Die verschiedenen Personen, die Blank aufsuchen, verwirren ihn, machen ihn ärgerlich oder ängstlich und stets kommt dieses unerklärliche aber heftige Schuldgefühl auf. Orientierungslos, zuweilen klaustrophobisch, dann wieder ungehalten über körperliche Unzulänglichkeiten – altersbedingt oder als Nebenwirkung der regelmäßig verabreichten aber nicht näher bezeichneten Medikamente? - fesselt ihn wie den Leser schließlich das Manuskript, das eine Parallelgeschichte erzählt.

Doch inwieweit hat Blank mit diesem Bericht eines Sigmund Graf zu tun, der einst als Beamter des Ministeriums für Innere Angelegenheiten von der „Konföderation" an die Grenze der „Fremden Territorien" entsandt wurde, um die dortige Lage auszukundschaften? Schließlich ist er es selbst, der die Geschichte als vermeintliche Erinnerungsarbeit dahingehend vervollständigt, dass Graf in abgefeimter List missbraucht wurde, um wie in aktueller Zeit wegen gewisser angeblicher Massenvernichtungswaffen im Irak den Kriegsgrund gegen die Barbaren zu liefern.

Als hätten sich Kafka und Beckett mit J.M. Coetzee zusammengetan, bleibt der ebenso faszinierende wie verwirrende Roman bis zuletzt kryptisch in seinen Aussagen. Mal beängstigend, mal mit subtilem trockenem Humor unterlegt, fesselt Auster mit dieser zugleich existenzialphilosophischen wie sprachgewaltigen Parabel und lässt den Leser als Komplizen der absoluten Überwachung Blanks mit versteckten Mikrofonen und Kameras mit vielen offenen Fragen zurück.

 

# Paul Auster: Reisen im Skriptorium (aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz); 174 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 16,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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