CORMAC McCARTHY: „DIE STRAßE"

Es ist nicht das erste Mal, dass Cormac McCarthy ein herausragendes Meisterwerk geschrieben hat, sein jüngster Roman „Die Straße" jedoch ist eines der Bücher, die in die ewige Liste der unvergesslichen Klassiker eingehen werden. Soeben hat der zurückgezogen lebende US-Autor für diese apokalyptische Endzeitvision den Pulitzer-Preis erhalten und auch der Nobelpreis ist schon für geringere Werke vergeben worden...

Doch der Leser sei gewarnt, denn dieser Roman ist an Düsternis kaum zu überbieten, wenn da die Geschichte eines namenlosen Mannes und seines Sohnes in einer Kargheit wie Becketts „Warten auf Godot" geschildert wird, nur weitaus trauriger und beklemmender. Mit biblischer Wucht führt sie in eine Welt, in der keine Tiere mehr leben, wo alles verbrannt und von Asche bedeckt ist, kalt, feucht und ohne Sonne.

Etwa vor zehn Jahren, nur Tage vor der Geburt des Jungen, hielten die Uhren an und der Mann erinnert sich an einen Lichtschein und Erschütterungen. Seither hörte die bekannte ziviliserte Welt auf zu existieren, durch welche Art der Katastrophe, bleibt ungesagt. Die wenigen Überlebenden marodieren durchs Land als verzweifelte Räuber, Mörder und Kannibalen. Der Mann und sein Sohn sind nun auf dem mühsamen und gefahrvollen Weg durch das geschwärzte, skelettierte Land zur fernen Küste. Vielleicht ist es dort besser als irgendwo, doch auch das ist nur eine winzige ohnmächtige Hoffnung, die nicht konkret begründet wird und sich schließlich auch als unsinnig offenbart.

Die atemlose Spannung aber, die von Beginn bis Ende nicht loslässt, rührt aus dem Verhältnis von Vater und Sohn im krassen Gegensatz zum apokalyptischen Szenario. Es gibt in der Litartur gewiss kein Beispiel einer ähnlichen gegenseitigen Hingabe wie hier und in dieser auf die real wie auch im tieferen Sinne letzten Dinge reduzierten Welt, wo jeder der beiden „die ganze Welt des anderen" ist. Und der Vater, der sich nur in seltenen Momenten flüchtige Reflektionen von früher erlaubt, verweigert sich jegliche Geschichten zu erzählen, denn sie wären alle aus einer Welt, die es nicht mehr gibt und die der Junge nie gekannt hat.

Ohnehin begnügen sich die wie aus Stein gemeißelten, ebenso lakonischen wie um so markanter eingehenden Dialoge mit dem wirklich Wichtigen. Dennoch reduziert sich das Denken und Handeln der Beiden nicht auf das rudimentäre Überleben, denn zu dem Schlimmsten, dessen Zeuge sie in dieser Endzeit werden, wo sogar Kinder von den eigenen Eltern gefressen werden, gesellt sich auch das Beste, zu dem Menschen fähig sind, absolute Zuwendung und Zärtlichkeit. Für den Mann ist der Junge die einzig denkbare Erlösung: „Wenn er nicht das Wort Gottes ist, hat Gott nie gesprochen."

Und so hält beide der unbeugsame Wille aufrecht, keine Menschen zu essen und zu den „Guten" zu gehören, „weil wir das Feuer bewahren." So zieht der Autor den Leser zwar unerbittlich hinein in diese schwärzeste aller denkbaren Welten, lässt ihn aber dennoch mit dieser grandiosen minimalistischen Geschichte von tiefer philosophischer Poesie nicht hoffnungslos zurück. Und wenn dieses aufwühlende monumentale Werk auch in der deutschen Version mit solch traumwandlerischer Sicherheit jedes Wort treffsicher setzt, dann soll die Übersetzung durch Nikolaus Stingl hier ausdrücklich als meisterhaft gelobt werden.

 

# Cormac McCarthy: Die Straße (aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl); 253 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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