MARLON BRANDO/DONALD CAMMELL: „MADAME LAI"

Marlon Brando (1924-2004) war einer der größten Schauspieler, dabei widersprüchlich, exzentrisch und immer wieder für Überraschungen gut. Wie mit der Tatsache, dass er einen Roman hinterlassen hat: „Madame Lai", eine verwegene Piratenklamotte, die er 1979 mit seinem langjährigen Freund, dem Schriftsteller und Regisseur Donald Cammell (u.a. „Performance") erstmals ausheckte. Dessen Witwe China Kong ließ den unfertigen Nachlass vom Filmhistoriker David Thomson vollenden.

Bevor man jedoch in die wüste farbenprächtige Geschichte ganz im Stile entsprechender Romane des frühen 20. Jahrhunderts einsteigt, gibt es quasi als erlesenen Aperitiv ein langes Vorwort von Truman Capote, der Begegnungen mit Brando in Japan beschreibt und dabei tiefe Einblicke in dessen Psyche beschert. Und die sind schon deshalb ein großartiger Einstieg, weil die Hauptperson des Kapitän Anatole „Annie" Doultry unschwer als Brandos Alter Ego zu erkennen ist: ein Hüne von Anfang 50 mit losem Lebenswandel und einem starken Hang zu asiatischen Frauen.

Dann der Roman selbst: Hongkong 1927, Annie sitzt sechs Monate Haft ab und rettet aus einer Laune heraus durche eine Lügengeschichte einen chinesischen Piraten vorm Galgen. Zum Dank knüpft der den Kontakt zu Madame Lai Choi San, der berüchtigsten und hintertriebensten Verbrecherin, die je auf dem chinesischen Meer ihr Unwesen getrieben hat. Annie ahnt, wie gefährlich sie sein könnte, doch sie ist viel zu verführerisch, als dass er ihrem Geschäftsangebot widerstehen kann. Er soll eine entscheidende Rolle als eingeschleuster Agent beim äußerst gewagten Raub eines wertvollen Schatzes von einem britischen Schiff spielen.

Und das Abenteuer entwickelt sich rasant mit heftigen Kämpfen, Verrat, einem Taifun und immer neuen Wendungen. Doch auch der Sex kommt nicht zu kurz in Szenen, die so deftig sind wie die gesamte Sprache dieses obsessiven Reigens, der in ein wahrhaft filmreifes Finale mündet. Man erlebt in Annie genau jene überlebensgroße Figur, die Brando in dem leider nie gedrehten Film ganz offensichtlich für sich selbst erdacht hatte, und man darf zugleich froh sein, dass diese hinreißende Mixtur aus Seemannsgarn und Abenteuerroman samt ihren politisch unkorrekten bis rassistischen Sprüchen so ungefiltert übersetzt wurde.

Fazit: ein geniales Stück Schundroman mit zwingendem animalischem Charme und sogar das kitschige Filmplakat-Cover im 50er-Jahre-Stil ist dem adäquat angepasst.

 

# Marlon Brando/Donald Cammell: Madame Lai (aus dem Amerikanischen von Gregor Hens); 430 Seiten; marebuchverlag, Hamburg; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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