CHARLES NICHOLL: „LEONARDO DA VINCI"

Vermutlich war Leonardo da Vinci (1452-1519) das größte Genie der Neuzeit und seine Werke sind noch heute weltberühmt. Über seine Person jedoch gibt es mehr Mutmaßungen als Gewissheiten. Charles Nicholl als einer der besten Kenner der umfangreich überlieferten Schriften Leonardos hat sich nun der Vita gewidmet mit seinem brillant verfassten Werk „Leonardo da Vinci. Eine Biographie" und er vermeidet, was viele vor ihm getan haben: er arbeitet wissenschaftlich anhand von Fakten und Belegen statt zu spekulieren.

Er setzt ein mit der Geburt als unehelicher Sohn eines Bauernmädchens und eines Notars und umreißt ein plastisches Bild der äußeren und familiären Lebensumstände des jungen Leonardo, der mit etwa 14 Jahren in eine Bildhauerlehre ging und sich zum Maler, Architekten und Ingenieur entwickelte. Immer auf der Jagd nach dem Geld seiner mächtigen Auftraggeber von Kirche und Fürstenhäusern, weitete er seine Interessen aber schon bald auf unzählige andere Gebiete aus, stellte seine unerschöpfliche Vorstellungskraft als Techniker, Anatom, Bühnenbildner und vieles mehr mit Zeichnungen, Zahlenwerken und Beschreibungen so einzigartig unter Beweis, dass heutige Testversuche immer wieder damit überraschen, dass zum Beispiel seine vielfältigen meist nur auf dem Papier existierenden mechanischen Erfindungen tatsächlich funktionieren.

Doch Nicholl widmet sich bei all dem vorrangig der Person des Universalgenies und macht zugleich deutlich, dass dieses eine solche Bezeichnung wahrscheinlich abgelehnt hätte, denn Leonardos Denkweise war von Strenge und Skepsis geprägt. Und auch von stetem Misstrauen gegen Ideendiebe, weshalb der Linkshänder auch sämtliche Schriftwerke in Spiegelschrift fertigte. Der Autor erhärtet übrigens auch die meist eher vage gemachte Vemrutung, dass Leonardo homosexuell war, auf der Grundlage konkreter Unterlagen. Bei aller Sachlichkeit gelingt es ihm gleichwohl, Zeit- und Lebensgeschichte zu verknüpfen und Leonardo als einen Künstler zu porträtieren, der in unermüdlicher Schaffensfreude nicht nur Malereien für die Ewigkeit schuf sondern unzählige Maschinen entwarf, auch in seinen anatomischen Forschungen seiner Zeit weit voraus war und zudem ein großer Theoretiker und Philosoph.

Nur zu verständlich wird bei diesem detaillierten Personenbild – das dennoch den Mythos Leonardos nur ansatzweise zu erfassen vermag – dass der Meister auf dem Sterbebett all das bedauerte, was ihm noch zu schaffen verwehrt war. Fazit: ein großartiges Porträt, das der Wahrheit so nahe kommt wie wohl keines zuvor.

 

# Charles Nicholl: Leonardo da Vinci. Eine Biographie (aus dem Englischen von Michael Bischoff); 752 Seiten, div. Abb.; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 29,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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