GERHARD SCHRÖDER: „ENTSCHEIDUNGEN"

Ein bisschen staunt er heute noch über seine Karriere vom Eisenwarenverkäufer aus ärmlicher Familie mit Volksschulabschluss bis zum Weltpolitiker, dieser Gerhard Schröder aus dem Lippischen. Und gern gibt er zu, ein 'political animal' zu sein und er bedauert offen, dass er nicht mehr Bundeskanzler ist.

Herkunft, Aufstieg zum Regierungschef aller Deutschen und das Ende nach fast siegreichen vorgezogenen Wahlen im Herbst 2005 beschreibt Schröder in seinen Memoiren unter dem Titel „Entscheidungen. Mein Leben in der Politik". Zu gehörigem Selbstbewusstsein bekennt er sich dabei, ist aber zugleich weitgehend um Sachlichkeit in seinen Bewertungen von Vorgängen und Personen bemüht. Unverkennbar bleibt dabei grad ein Jahr nach dem Ende seiner siebenjährigen Regentschaft jedoch seine Absicht, die Deutungshoheit über sein politisches Handeln dieser Zeit vorzugeben. Selbst da, wo er Illusionen und Fehler eingesteht.

Man lernt, dass er Bundesvorsitzender der Jusos war, ohne ein Aktivist der 68er zu sein, dass er Jura studierte, weil ihn Fernsehanwalt Perry Mason so beeindruckt hatte. Und erstaunlicherweise gibt er zu, dass Rot-Grün sich nach dem Wahlsieg vom September 1998 eher in die Regierungsbildung hineinimprovisierte und Konflikte vorprogrammiert wurden. Dabei schildert Schröder erstmals seine Sicht des Problemfalls Lafontaine und warum die so erfolgreiche Arbeitsteilung „Oskar fürs Herz und Gerhard für den Verstand" zerbrechen musste. Nach dem Motto „Mir gleich, wer unter mir Bundeskanzler ist" habe der ehrgeizige Saarländer sich ein Superministerium aufbauen wollen und sei doch als selbsternannter Weltökonom auf ganzer Linie gescheitert.

Es sind fundierte Kalkulationen, mit denen Schröder den Totalaussteiger als einen durch und durch Oppositionspolitiker kennzeichnet und Licht in die Affäre Lafontaine bringt. Insgesamt allerdings geht Schröder weitgehend dezent auch mit seinen Gegnern um und selbst George W. Bush sieht er eher milde, zumal er dessen Vize Cheney als den eigentlichen Beelzebub in Sachen Irak-Krieg outet. Schröder schildert die Vorgänge um die vermutlich wichtigste Entscheidung seiner Kanzlerschaft, als er den USA die Gefolgschaft im Irak verweigerte, detailliert und aufschlussreich.

Verständlich, dass er bei der anderen großen Entscheidung seiner Regierungszeit, jener zur Agenda 2010, die dann notgedrungen zur vorgezogenen Bundestagswahl führte – man hätte ihn sonst zum Rücktritt gezwungen – weniger zimperlich argumentiert. Hier nennt er Namen und allen voran sind es die Gewerkschaften, denen er den Niedergang von Rot-Grün vorwirft. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer habe ihm eine „asoziale Politik" vorgeworfen und ihn bewusst düpiert, als er ihn nicht zur traditionellen Mai-Kundgebung einlud. Hinzu kamen zudem die massiven Gegenaktionen von IG Metall und ver.di.

Vom direkten politischen Gegner erwähnt er dagegen wenige und greift hier noch am ehesten Edmund stoiber an, wogegen die spürbar als nicht gleichwertig empfundene Nachfolgerin Angela Merkel kaum vorkommt. Hochinteressant schließlich die Chronik des letzten Wahlkampfes aus Sicht des Hauptakteurs, der nicht mit einem Sieg rechnete, aber seine heftigste Schlacht schlug und Kritikern seiner fulminanten Kampagne vorhält: „Wem es in der Küche zu heiß ist, der sollte nicht Koch werden".

Es liegt in der Natur der Sache, dass ein so lange Zeit erfolgreiches politisches Alpha-Tier wie Gerhard Schröder sein Handeln in der Rückschau weit überwiegend als richtig bewertet. Das ist legitim und nicht vorwerfbar, zumal die Irak-Entscheidung längst durch die Ereignisse gerechtfertigt wurde, während bei der Agenda 2010 erst die nähere Zukunft beweisen wird, ob diese von ihm als unverzichtbare Kursbestimmung richtig war. Vieles ist gerade wegen der kurzen Zeit seit seinem Abgang so interessant, manches ist erhellend für die Hintergründe des Geschehenen. Bei der Bewertung Putins verstellt die persönliche Freundschaft offenbar ein wenig den Blick für die schweren Demokratiedefizite in Russland, ansonsten aber legt der Alt-Kanzler eine auch für politische Gegner spannende Lektüre vor.

 

# Gerhard Schröder: Entscheidungen. Mein Leben in der Politik; 544 Seiten, div. Abb.; Hoffmann und Campe, Hamburg; € 25

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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