KLAUS MODICK: „BESTSELLER"

Ganz schön frech: Klaus Modick nennt seinen neuen Roman schlichtweg „Bestseller"! Und wenn nicht alles täuscht, dürfte er mit dieser herz- und geisterfrischend frechen Attacke auf Literaturbetrieb und Publikumsgewohnheiten genau den landen, eben einen Bestseller.

Da ist dieser mittelmäßig erfolgreiche Schriftsteller Lukas Domcik, dessen neuer Roman zu intelligent ist, als dass ihn sein Verleger auch nur mit einem Werbe-Euro extra fördern mag. Der will etwas Kommerzielles, möglichst hollywoodtauglich. Im Trend wäre zum Beispiel Dokufiktion à la Giudo Knopp. Just in diesen Frust hinein kommt die Nachricht vom Ableben einer längst vergessenen Schwippgroßtante, die ausgerechnet Lukas als Alleinerben benannt hat.

Dessen frohe Erwartung wird bitter enttäuscht, denn Soll und Haben ergeben quasi Null und konkret bleibt nur ein alter Koffer mit ganz Privatem, das sich dann als Tantchens erst ätzend braunstichige und nach Krieg und Bekehrung brachialkatholische Memoiren erweist. O-Ton Ich-Erzähler Domcik: „Wer wissen will, wie im Nationalsozialismus Köpfe zu Kloaken werden konnten und mit welcher Strategie ab 1945 die Kloaken wieder zu frommen Köpfen gesundgebetet wurden, der war mit Tante Theas Nachlass bestens bedient."

Bei so viel Ärger kann einem schon mal die Hutschnur reißen und Domcik sinnt auf Rache – sollen sie doch ihren marktkompatiblen Schund haben! Aber seinen guten Namen will er nicht damit belasten und deshalb kommt ihm die Bedienung in seinem Stammlokal gerade recht. Rachel entspricht ganz seinem Isabel-Adjani-Ideal, ist Engländerin mit deutschem Großvater und hat selbst vage Wahnideen von schriftstellerischem Ruhm. Im Nu macht sich Strohwitwer Domcik zum verliebten Trottel und hechelt nach Rachels minimalen Sympathiebeweisen.

Aus Tantchens Schund schreibt er eine grandios geschmacklose Kolportage zusammen und lockt Rachel mit dem Vorschlag, diese Dokufiktion mit ihr als Strohfrau unter dem jüdisch klingenden Pseudonym Levison seinem Verleger anzubieten. Von zu viel Intellekt unverstellt macht Rachel mit, wenn auch aus privaten Gründen nun vom heimischen Bristol aus. Natürlich hat Domcik richtig vermutet, dass sein Verlag gierig auf die schmulstgesättigten Memoiren anspricht. „Vom Memelstrand zum Themseufer. Die Odyssee einer tapferen Frau durch tausendjährige Zeit" wird ein Volltreffer, Rachel überall herumgereicht und mit Preisen für ihren Bestseller überschüttet.

Nur Domcik hat irgendwie ins Leere gegriffen mit seinem Geniestreich, hat offenbar etwas im Literaturbetrieb nicht richtig verstanden. Im Gegensatz zur cleveren Autorin. „Ich hatte mein Bestes getan, um das Schlechteste zu geben", rühmt sich Domcik in dieser bitterbösen Satire, die abstrus und voller Überraschungen ist, obwohl die Ergebnisse grundsätzlich den Erwartungen entsprechen. Lukas Domcik ist unschwer als Anagramm von Klaus Modick zu erkennen und viel Autobiografisches im Denken und sonstigen Befindlichkeiten ist unübersehbar. Fazit: auf solch intelligente Weise wird man selten so gut unterhalten.

 

# Klaus Modick: Bestseller; 272 Seiten; Eichborn Verlag, Frankfurt;

€ 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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