JOHN UPDIKE: „TERRORIST"

John Updike, seit Jahren Anwärter auf den Literaturnobelpreis, hat mit seinem neuen Roman „Terrorist" sein Terrain der Kritik an den Zuständen der durchschnittlichen Gesellschaft der USA verlassen. Doch nur scheinbar, denn in seinen Innenansichten des 18-jährigen Terroristenanwärters Ahmad Mulloy kocht der sprachmächtige Literat genüsslich eine ungeheuer treffsichere Zivilisationsschelte an einer in weiten Teilen belanglos gewordenen Gegenwart auf.

Von Beginn an fesselnd, schildert Updike den Weg des braven Sohnes und hervorragenden Schülers zum Islam-Fanatiker bis hin zum Terroristen. Sein Vater, ein ägyptischer Austauschstudent, hat die irisch-stämmige Mutter sitzengelassen, als er drei war, und schon mit elf führt ihn die Vaterersatzsuche in die Moschee des Imam Sheik Rashid. Dessen rigorose islamischen Heilslehren durchdringen den Jungen bis ins Innere und lassen seinen Ekel und seine Verachtung gegenüber den alltäglichen Erscheinungen der US-Konsumgesellschaft bis hin zu den lockeren Kleidungsgewohnheiten der Mitschülerinnen in Hass umschlagen.

Ich bin ein guter Moslem in einer Welt, die den Glauben verhöhnt", wobei er in seiner Verblendung nur den einen Gott, seinen Allah, als alleinigen gelten lässt. Und da sein Lehrer ihm eingeimpft hat, alle Ungläubigen seien Feinde der einzig Rechtgläubigen, gelingt es dem Imam mit sanftem Druck, dem Jungen die Idee von der Selbstopferung so verlockend als die wahre Erfüllung einzuflüstern, dass er seinen Märtyrertod geradezu herbeisehnt. Deshalb will er nach Abschluss der Highschool auch Lkw-Fahrer werden statt zu studieren.

Hier nun kommt sein eigentlicher Gegenpart ins Spiel, der 63-jährige Jack Levy. Der Beratungslehrer, ein Neinsager seines Judentums „aus Überzeugung gegen einen tyrannischen Gott", versucht, Ahmad von seiner Berufswahl abzubringen. Während Levy vorübergehend zum Liebhaber von Ahmads recht freizügiger Mutter avanciert, ohne dass der Junge davon erfährt, entspinnen sich spannende Rededuelle zwischen den Beiden. Doch in seinen engstirnigen moralischen Anspüchen ist Ahmad längst so festgefahren, dass er es ablehnt, sich in der toleranten westlichen Gesellschaft mit der typischen Vielzahl von Ansichten auseinanderzusetzen. Es bleibt sein ständiger Vorwurf: „Sie nehmen uns unseren Gott weg."

Da gehört es zu den grandiosesten Passagen, wenn sich Ahmad durch eine Einladung einer flippigen Mitschülerin entgegen allen Vorbehalten in einen christlichen Gottesdienst begibt, in dem sie im Chor mitsingt. Der farbige Prediger sorgt für den typischen Enthusiasmus, der mit seiner Wort- und Klanggewalt selbst Ahmad nicht unberührt lässt. Dennoch tut er in seinem blindwütigen Dünkel all die Begeisterung im Christenglauben als gottlos, ja heidnisch ab. Konsequent geht er seinen Weg weiter, heuert bei einem libanesisch-stämmigen Möbelhändler an und erhält schließlich den ersehnten Auftrag zu einem Anschlag mit einer Riesenladung Sprengstoff in seinem Lkw im Lincoln-Tunnel vor New York, der bei Gelingen tausende von Opfern fordern würde.

So spitzt sich der Roman zu einem thrillermäßigen Finale zu, dessen Überraschungen hier nicht verraten werden sollen. Neben den genannten Protagonisten agieren weitere interessante Charaktere bis hin zum Minister für Heimatschutz. Dennoch bleibt das Alles weitgehend unpolitisch, obwohl es im Wahljahr 2004 spielt, aber gerade das ist die wahre Stärke dieser Schilderung vom Werden eines Terroristen. Es sind nicht Palästinenserschicksale oder familiäre Opfer durch israelische Angriffsaktionen oder sonstige zumindest menschlich nachvollziehbare Gründe für das Hineinwachsen in diesen Fundamentalismus bis zur Selbstopferung.

Dies ist Fundamentalismus in Reinkultur, wie er sich aus der dogmatischen Verengung allen Denkens auf die eine alleinseligmachende Idee entwickelt. Indoktriniert von einem ähnlich gestrickten Imam, schürt es diese aggressive Heilsauffassung, wobei das missionarische Element nicht einmal mehr auf Bekehrung abzielt sondern nur noch auf die Beseitigung alles „Unreinen", denn Reinheit ist das oberste Glaubensgebot. Ebenso elegant wie wuchtig im Stil, erweist sich John Updike als scharfsinniger Analytiker nicht nur zeitgenössischer Befindlichkeiten sondern auch der Zeitbomben, die allenthalben in den Köpfen fehlgeleiteter Fanatiker ticken, die neben allen Missliebigkeiten unserer Gegenwart auch gleich noch jene Freiheiten des Einzelnen beseitigen wollen, für die unzählige Menschen über Jahrhunderte ihr Leben geopfert haben. Fazit: ein großer und ein überaus wichtiger Roman.

 

  # John Updike: Terrorist (aus dem Amerikanischen von Angela Praesent); 397 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 442 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de