MARIO VARGAS LLOSA: „DAS BÖSE MÄDCHEN"

Als Ricardo der verführerischen Lily erstmals in Miraflores begegnet, schreibt man das Jahr 1950 und es ist ein flirrender Sommer in Peru, der vom Mambo beherrscht wird. Sofort verfällt der 15-Jährige der Gleichaltrigen, die angeblich aus Chile stammt und so viel unbekümmerter ist als die anderen Jugendlichen im steifkatholischen Lima.

Sie erweist sich als böses Mädchen, das ihn an der Nase herumführt, und „Das böse Mädchen" ist auch der Titel des neues Romans von Mario Vargas Llosa. Doch was so scheinbar harmlos als glücklose Teenagerromanze beginnt, entwickelt sich zu einer tragischen Lebensliebesgeschichte, die ihresgleichen sucht: bis zur letzten Zeile fesselnd, dramatisch, erotisch und auf ihre sehr eigene Weise glaubhaft.

Als die ebenso kühle wie herausfordernde Angebetete plötzlich verschwindet, gelingt es Ricardo gleichwohl, sein eher genügsames Lebensziel zu realisieren. Wie angestrebt, studiert er und findet sein intellektuelles Glück darin, in seiner Wunschstadt Paris als Übersetzer und Dolmetscher zu leben. Bis das unvergessene böse Mädchen wie aus dem Nichts ebendort in seine Beschaulichkeit einbricht, auf der Zwischenstation nach Kuba, wo sie zur Revolutionärin ausgebildet werden soll. Eine einzige leidenschaftliche Nacht mit ihr macht ihn endgültig zum Gefangenen einer bedingungslosen, obsessiven Liebe zu ihr. Die jedoch quälend einseitig zu sein scheint, wie sie ihm lachend zu verstehen gibt.

Kaum hat er nach ihrer Abreise über Monate mühsam zu einer gewissen Gelassenheit zurückgefunden, taucht sie erneut auf – als Ehefrau eines ältlichen französischen Diplomaten, der sie aus den Fängen hochrangiger Revoluzzer befreit hat. Dreist genießt sie Ricardos Hingabe wie auch seine glühenden Liebesbekundungen und bleibt doch stets die Kühle, Arrogante: „Guter Junge, ich werde nie zufrieden sein mit dem, was ich habe. Ich werde immer mehr wollen." Und es folgt die nächste der emotionalen Hinrichtungen für den unglücklichen Verehrer, als sie wieder aus seinem Leben verschwindet.

Das Glück ist allerdings auch ihr nicht hold, wie Ricardo erfährt, als er dem bösen Mädchen nach einigen Jahren in London als frustrierte Millionärsgattin wiederbegegnet. Die nächste Liebeskatastrophe folgt und beider Wege entwickeln sich zerstörerisch, ja sogar lebensbedrohlich und dennoch auf schicksalhafte Weise offenbar untrennbar. Es soll hier nicht verraten werden, zu welch starkem, tief bewegenden Finale Vargas Llosa diese extreme Amour fou führt, die der Sprachmagier ebenso kraftvoll wie stilsicher mit souveräner Dramaturgie und hinreißenden Wendungen schildert.

Selten hat er so gradlinig erzählt und nie zuvor schuf er einen so reich ausgestalteten Frauencharakter wie dieses 'böse Mädchen', das dennoch selbst dann noch faszinierend rätselhaft bleibt, als Ricardo die Splitter ihres abenteuerlichen Lebenspuzzels weitgehend zusammenzufügen vermag. Dieses großartige Meisterwerk glänzt jedoch zusätzlich durch die höchst authentische Zeitreise, auf die der Autor den Leser mitnimmt, wenn er das Zeit- und Lokalkolorit von Paris in den 50er sowie das Londons in den 60er und 70er Jahren zeichnet und zugleich die tragischen Entwicklungen in seinem Heimatland Peru mit ferner Anteilnahme beschreibt. Fazit: ein grandioser Liebesroman und weit mehr als das.

 

  # Mario Vargas Llosa: Das böse Mädchen (aus dem Spanischen von Elke Wehr); 395 Seiten; Suhrkamp Verlag, Frankfurt; € 24,80

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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