ELIZABETH GEORGE: "WO KEIN ZEUGE IST"

Mit ihrem neuen Kriminalroman um den aristokratischen Superintendent Thomas Lynley überbietet Elizabeth George alles, was sie in den zwölf vorherigen Fällen geschrieben hat, an Spannung, psychologischen Tiefen und überraschenden Wendungen. "Wo kein Zeuge ist" heißt der Thriller, der zunächst jedoch fast behäbig einsetzt.

Die Leiche eines Jugendlichen wird gefunden, der unübersehbar gefoltert, missbraucht und rituell getötet wurde. Als man Lynley und seiner eben degradierten bärbeißigen Assistentin Barbara Havers den Fall überträgt, schlagen die Wellen bald hoch, denn offenbar war hier ein Serienkiller am Werk. Brisant ist dabei, dass die anderen drei Toten farbige Jungs waren – ein Fall von Rassendiskrimierung, dass die Polizei erst durch das neue, weiße Opfer in Bewegung kommt?!

Die burschikose Barbara stößt bald auf eine heiße Spur, aber ein fünfter Toter bringt alles durcheinander, denn der Täter ist von seinem Muster abgewichen. Viel schlimmer jedoch ist, was derweil hinter und vor den Kulissen vom New Scotland Yard abläuft, denn Lynley und sein Team werden vom kommissarisch zuständigen Acting Commissioner Sir David Hillier mit despotischer Bräsigkeit schikaniert. Der eigenwillige Hillier schaltet nicht nur einen Außenstehenden als Profiler ein und setzt Lynley zur Beschwichtigung der Öffentlichkeit den forschen farbigen Sergeanten Nkata ins Team, er kommt auch noch auf die aberwitzige Idee, die Presse direkt in die Ermittlungen einzubeziehen.

Die schweren Verwerfungen zwischen den Ermittlern und die Sensationsgier eines Boulevard-Journalisten führen dazu, dass Lynley diesmal in besonderem Maße zum persönlich Betroffenen und die ihm treu ergebene Barbara zur Hauptperson des Falles wird. Eigentlich könnte Lynley glücklich sein, denn er ist seit einem Jahr mit der aus früheren Fällen bekannten Helen verheiratet und sie erwarten das erste Kind. Doch Hilliers Hirngespinste beschwören katastrophale Folgen herauf, die den fesselnden Roman zu einer ergreifenden Geschichte machen.

Auch sonst besticht dieser Krimi durch seine vielen exzellenten Chatakterzeichnungen bis hin zum gestöten Möder, der sich als "Fu" selbst zu Wort meldet. In raffinierter Hochspannungsdramaturgie verknüpft Elizabeth George eine Vielzahl von Figuren und Handlungssträngen zu einem beklemmenden Krimi, der nicht nur anspruchsvoll ist, sondern auch seine Härten hat. Fazit: ein Meisterwerk des Genres.

 

# Elizabeth George: Wo kein Zeuge ist (aus dem Amerikanischen von Ingrid Krane-Müschen und Micheal J. Müschen); 798 Seiten; Blanvalet Verlag, München; € 22,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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