KENNETH J. HARVEY: "DIE STADT, DIE DAS ATMEN VERGAß"

Erst werden die Menschen schwermütig, dann aggressiv und schließlich vergessen sie zu atmen. So beginnt eine obskure Seuche, die das idyllische Fischerstädtchen Bareneed an der rauen Küste Neufundlands heimsucht. Just hierher in den Ort seiner Kindheit ist der Fischerei-Inspektor Joseph Blackwood mit seiner achtjährigen Tochter Robin gekommen, um sich mit ihr nach der Trennung von Ehefrau Kim für ein paar Wochen zu erholen.

Als Joseph zu ahnen beginnt, dass sie besser das Weite suchen sollten, ist es bereits zu spät, denn Militär hat die kleine Stadt abgeriegelt. Und während auch von ihm der Irrsinn langsam Besitz ergreift, wird Robin von ihrer neuen, eigentlich längst toten Freundin Jessica in eine andere Welt gezogen. Bilderbuchschön und athmosphärisch fängt dieser Horror-Roman mit dem treffenden Titel "Die Stadt, die das Atmen vergaß" an und der kanadische Erfolgsautor Kenneth J. Harvey spielt dabei bravourös auf der Klaviatur des allmählich ansteigenden Grauens in der sturmumtosten Idylle.

Immer mehr Menschen brechen zusammen und können nur durch künstliche Beatmung vorm Sterben bewahrt werden. Zugleich spielt das Meer verrückt: erst ist es nur ein seltener Albino-Hai, dann spuckt es immer mehr seltsame, hier gar nicht heimische Kreaturen an Land, und schließlich sind es Wasserleichen. Die erschrecken nicht nur mit ihrer ungeheuren Zahl sondern auch mit ihrer unfassbaren Unversehrtheit, obwohl viele von ihnen seit mehr als hundert Jahren auf See verschollen waren. Je mehr nun die Isolation in dem Gefühl des unentrinnbaren Entgleitens von Vernunft und Beherrschung aufpeitscht, desto alptraumhafter zieht sich die Situation zusammen zu einem atemberaubenden Finale.

Alle Elemente einer klassischen Gruselgeschichte vereinigt Harvey samt geheimnisvoller Geister mit ebenso eleganter wie präziser Sprachgewalt meisterhaft zu einem beklemmenden Potpourri, der den Leser nicht zuletzt dank der exzellent gezeichneten Charaktere und einer absolut filmreifen Dramaturgie bis zur letzten Zeile fesselt. Trotz des schleichenden Hinübergleitens vom Realistischen ins Magisch-Mystische verdient dieser schaurig schöne Roman nicht nur einen Spitzenplatz unter seinesgleichen sondern allemal auch einen Platz in den Reihen gehobener Literatur.

 

 

# Kenneth J. Harvey: Die Stadt, die das Atmen vergaß (aus dem Englischen von Marlies Ruß); 571 Seiten; Karl Blessing Verlag, München; € 21,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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