HENNING MANKELL: "KENNEDYS HIRN"

Kein Schweden-Krimi, obwohl etwa ein Drittel dort spielt; kein reiner Afrika-Roman, obwohl dort der wichtigste Schauplatz ist, und dennoch ist Henning Mankells neuestes Werk "Kennedys Hirn" ein Thriller mit allen Qualitäten, die seine Bestseller ausmachen. Der Titel allerdings ist eine Spur, die ins Leere führt und sich lediglich als Metapher dafür erweist, was der engagierte Autor am Rande deutlich machen will: "Wir leben in einer Welt, in der es wichtiger ist, Fakten zu verschleiern als zu enthüllen..."

Im Mittelpunkt steht die schwedische Archäologin Louise Cantor, die von Grabungen in Griechenland heimkehrt und eine grausige Entdeckung macht, als sie ihren Sohn Henrik besuchen will, denn der liegt tot im Bett. Louise glaubt nicht an die Feststellung der Polizei, er habe sich mit Tabletten umgebracht. Stattdessen beginnt sie nachzuforschen und je mehr sie dabei zu Stationen in der ganzen Welt kommt, an denen er geweilt hat, desto mehr erkennt sie, wie wenig sie von ihm und seinen verborgenen, teils kriminellen Umtrieben wusste. Und von der Tatsache, dass er HIV-positiv war.

Als ihre Odyssee Louise schließlich nach Maputo in Mocambique führt – seit vielen Jahren Mankells zweite Heimat – stößt sie auf die Aids-kranke Lucinda, von Henrik infiziert und dann verlassen. Durch sie eröffnen sich der zäh recherchierenden Louise allmählich unfassbare Dimensionen dessen, womit Henrik sich hier offenbar befasst hat: geheime Aids-Forschungslabors mit teils gesunden, teils bereits dahinsiechenden Einheimischen, an denen wie an Labormäusen und Versuchsaffen experimentiert wird. Man ahnt, dass Henrik hier mehr entdeckt hat, als die Drahtzieher der großen Pharmakonzerne dulden konnten. Wer als Erster ein wirksames Mittel gegen Aids entdeckt, gewinnt damit quasi die Lizenz zum Gelddrucken. Während die Armen sich Moral nicht leisten können, käme sie die Reichen zu teuer. Entsprechend beiläufig werden störende Zeugen beseitigt und ein zynisches Szenario Heuchelei aufgezogen.

Mankell bekennt sich im Nachwort zu Wut und Zorn über derartige Missstände in Afrika und der Gleichgültigkeit der Europäer ihnen gegenüber, die ihn zu diesem ebenso brisanten wie beklemmenden Roman getrieben habe. Nüchtern und sachlich erweist er sich erneut als präziser Beobachter und reißt den Leser dennoch mit dieser unterschwelligen Leidenschaft des Moralisten mit. Um ihn am Ende mit unvergesslichen authentischen Bildern und einer gewissen Ratlosigkeit zurückzulassen. Ein starkes Stück Literatur, mahnend, hochaktuell und glaubwürdig.

 

# Henning Mankell: Kennedys Hirn (aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt); 399 Seiten; Paul Zsolnay Verlag, Wien; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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