MARK NYKANEN: "TOTENSTARRE"

Wer sich einst am "Schweigen der Lämmer" ergötzt hat, darf frohlocken, denn Mark Nykanen legt jetzt mit seinem neuen Roman "Totenstarre" ein Pendant vor, das wegen seiner ungleich größeren Realitätsnähe noch mehr atemloses Schaudern bereitet. Der negative Held ist hier kein gerissener Kannibale wie Hannibal Lecter sondern der größenwahnsinnige Bildhauer Ashley Stassler, von dessen lebensgroßen Skulpturen ganzer Familien niemand ahnt, woher der als genial gerühmte Ausdruck des absoluten Schreckens stammt.

Stassler ist ein kaltes, extrem arrogantes Monster von 48 Jahren, das sich als Virtuose für "die planvolle Einführung des Schreckens" sieht. Erst die mit geradezu pedantischer Perfektion herbeigeführten Qualen schaffen jenen finalen Horror, der in wahrhaft atemberaubenden Tötungsritualen gipfelt. Wenn er die Opfer schließlich vor dem Bronzeguss ihres Fleisches entkleidet hat, inspiriert ihn "die Schönheit der Skelettparade ein jedes Mal". Mit der Familie Vanderson hat er besonders viel Vergnügen in seinem Kelleratelier auf einer einsamen Farm in Utah, denn zu ihr gehört auch eine offenbar ihm seelenverwandte grundverdorbene Tochter. Dieses Diamond Girl – alle seine durch ihn mit Unsterblichkeit geadelten Opfer erhalten Kunstnamen – bringt mit ihrer Frivolität sogar seine kühle Überlegenheit zuweilen an den Rand der so wichtigen Selbstbeherrschung.

Dafür sorgen dann aber auch die Kunstprofessorin Lauren und ihre Lieblingsstudentin Kerry, als die junge Frau bei einem widerwillig auf der Farm gewährten Praktikum in Stasslers Geheimnis stolpert. Natürlich wird sie sofort seine Gefangene mit abzusehendem Ende, doch der Pedant muss zunächst ihre Spuren beseitigen und falsche auslegen. Lauren, ohnehin eine vom Genius mit kaltem Hass bedachte Kritikerin seiner Arbeit, glaubt jedoch nicht an Kerrys angeblichen Unfall und versucht selbst mit ihrem Freund Ry nach Spuren zu suchen.

Es setzt ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel ein, das die ohnehin finstere Faszination dieses Romanes zu immer neuen Höhepunkten treibt und ein einem Marathon-Furioso von seltener Intensität gipfelt. Das ist mit ebenso viel Niedertracht wie Raffinesse in Szenen und Bildern beschrieben, die mit ihrer zupackenden Sprache und manch gleißend hellen Funkelsteinen fesseln. Die Dramaturgie liefert dazu durch Wechsel zwischen dem ich-erzählenden Künstler mit dem teuflischen Wahn und den rein erzählenden Passagen ein Höchstmaß an Qualität. Fazit: ein grandioser, filmreifer Thriller am Rande des Perversen, den nervenschwache Feingeister allerdings unbedingt meiden sollten.

 

# Mark Nykanen: Totenstarre (aus dem Amerikanischen von Fred Kinzel); 415 Seiten; Limes Verlag, München;

€ 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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