JOYCE CAROL OATES: "AUSGESETZT"

Joyce Carol Oates zählt zu den fleißigsten aber auch besten amerikanischen Autorinnen, doch selten hat sie derartig persönlich geschrieben wie in ihrem jüngsten Roman "Ausgesetzt". Auch sie ging in den frühen 60er Jahren an die Highschool in Syracuse im US-Staat New York und auch sie kam aus ärmlichen provinziellen Verhältnissen. Die Ich-Erzählerin, die namenlos bleibt, erhofft sich auf dem Campus Anerkennung und sozialen Aufstieg, erlebt stattdessen jedoch bittere Enttäuschungen mit den Kommilitoninnen und im muffig gestrigen Wohnheim.

Die 19-Jährige lässt sich in ihrer Suche nach Geborgenheit auf eine Affäre mit dem farbigen Philosophiestudenten Vernor ein. Es ist die Zeit der beginnenden sexuellen Befreiung und auch "Anellia", wie sie sich für ihn nennt, gibt sich obsessiver Lust hin. Sie fühlt sich befreit, obwohl Vernor kalt und arrogant ist. Willentlich lässt sie sich quälen, um sich selbst zu spüren. Als die Beziehung – nicht zuletzt auch am alltäglichen Rassismus – zerbricht, durchleidet sie Nervenzusammenbrüche und Schlafstörungen.

Und dann meldet sich die vermeintlich abgestreifte Vergangenheit zurück: ihr verkommener Vater, der sich nie um sie gekümmert hatte, ruft sie ans Krankenbett ins ferne Utah. Versöhnlich aber wird die Begegnung nicht, vielmehr beharrt der Todkranke weiterhin auf Distanz, ja, sie darf ihn nicht einmal anschauen. Als es ihr trotzdem gelingt, mittels eines Taschenspiegels einen Blick auf sein krebszerfressenes Gesicht zu werfen, hat diese Szene etwas beklemmend Mythologisches. Doch die Ich-Erzählerin bleibt so ausgesetzt wie von Geburt an, als ihre Mutter starb, nur dass sie jetzt endlich den schmerzlichen, längst überfälligen Schritt ins Erwachsenenleben absolviert hat.

Dieses so autobiographisch wirkende Werk ist derartig präzise und schonungslos, dass es fast schmerzt. Zugleich ist es mehr als nur ein sehr persönlicher Roman, denn die zentrale Figur steht trotz aller individueller Eigenheiten des Schicksals und des Charakters auch als exzellent gezeichnete exemplarische Protagonistin jener Zeit Anfang der 60er Jahre, als in die Verklemmtheit und Bigotterie nicht nur der Universitätswelt in den USA allmählich der Wind der Veränderung hineinblies. Fazit: vielleicht der bisher beste Roman der arbeitswütigen Sprachzauberin.

 

 

# Joyce Carol Oates: Ausgesetzt (aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz); 334 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: Bel 366 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de