HENNING MANKELL: "TIEFE"

Keine Afrika-Geschichte und kein Wallander-Krimi ist das neue Werk von Henning Mankell sondern ein großer psychologischer Roman. Ruhig, mit fast behäbigem Erzählfluss beginnt er, doch wer sich darauf einlässt, wird bald mit hochklassiger Lektüre von unentrinnbarer Sogwirkung belohnt.

Das Böse und Abgründige kommt diesmal nicht mit Ganoven oder Terroristen, es führt vielmehr in die Abgründe einer einzelnen menschlichen Seele, in deren unauslotbare Tiefen. Und so trägt dieser Roman den treffenden Titel "Tiefe". Im Mittelpunkt steht Kapitän Lars Tobiasson-Svartman, Marineoffizier mit einem geheimen Gespür fürs Lot, für Maße und Entfernungen, nur nicht für die eigenen Untiefen. Als Seevermesser soll er an Bord des Panzerschiffes "Svea" im Oktober 1914 neue Fahrrinnen in den Schären vor Stockholm erkunden.

Er ist ein verschlossener Mann, der seine schöne Frau aus gutem Hause liebt, obgleich ihm Nähe grundsätzlich unbehaglich war und er sich eines Tages außerdem eingestand, dass er Tisch und Bett mit einer unbekannten Frau teile. Sich selbst merkwürdig fremd und unfähig zu wirklicher Zweisamkeit, hält er prinzipiell auf Abstand und tut zugleich oft Dinge mit Entschiedenheit, ohne zu wissen warum. So auch, als er auf der Vermessungsfahrt auf einer entlegenen Schäreninsel die einzige dort lebende Person entdeckt, die junge urwüchsige Witwe Sara. Auf schicksalhafte Weise verfällt er ihr, obwohl er seine Kristina liebt. Und er ahnt düster, dass er auch zum letzten Mittel bereit sein wird, um diese Frau ganz allein für sich zu besitzen.

Als er dann tatsächlich in Saras Bett kriecht, ist es für eine kurze Weile, als hätten alle Entfernungen aufgehört zu existieren. Er empfindet einen eigentümlichen Frieden, der jedoch trügerisch ist, denn ihm wird auch seine seltsame Angst bewusst, dass Sara den Abgrund in ihm entdecken wird, wenn er bleibt. Die Rückkehr ins bürgerliche Leben misslingt dann trotz aller Lügen und den Geheimaufträgen, die er sich zur Tarnung erfindet, um erneut zu der Frau auf der inzwischen eingefrorenen Insel zu gelangen. Der Kalte mit der stillen Sehnsucht wird sogar zum Mörder aus Leidenschaft und zerbricht an der Suche nach einer Tiefe, die nicht zu vermessen war.

Das ist ein anderer als der gewohnte Mankell, doch er ist auf beklemmende Weise großartig mit diesem raffiniert verwobenen Strudel hinein in ungeahnte menschliche Abgründe. Die psychologische Meisterschaft zeigt sich dabei besonders in der Gestaltung einer Zentralfigur, die allenfalls Mitlied aber kaum Sympathie erweckt und dennoch mit ihren unauslotbaren Tiefen bis zur letzten Zeile fesselt. Faszinierend sind jedoch auch die virtuos gezeichneten Bilder von Landschaft und Meer in diesem dunklen, von viel Kälte beherrschten Roman. Fazit: ein hochkarätiges Stück Literatur, das obendrein mit hervorragendem Sprachgefühl übersetzt worden ist.

 

# Henning Mankell: Tiefe (aus dem Schwedischen von Verena Reichel); 367 Seiten; Paul Zsolnay Verlag, Wien; € 21,50

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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