FRIEDRICH ANI: "DAS UNSICHTBARE HERZ"

70.000 Kinder sind in Deutschland bereits durch künstliche Befruchtung entstanden. Wie manche unter der Erkenntnis einer anonymen Vaterschaft leiden, hat Friedrich Ani in seinem neuen Jugendroman "Das unsichtbare Herz" auf packende Weise in eine Form gefasst, die bis zum Schluss tief unter die Haut geht.

Merit hat Frederick und Dennis per Chatroom kennengelernt und sie tauschen sich über den Schock der fehlenden 'richtigen' Väter aus. Merits Mutter, die in einer lesbischen Beziehung lebte, hat ihr erst auf dem Sterbebett verraten, dass sie eben ein Kind ohne Mann haben wollte. Aufgebracht empfindet sich die 17-Jährige nicht mehr als Mensch: "Ich bin ein Machwerk, ein Ding!" Auch Frederick, 15, bedrückt der anonyme Samenspender als "schattenloser Vater", obwohl er wegen der Unfruchtbarkeit seines 'sozialen' Vaters der normalste Fall ist.

Um so heftiger ist die Erschütterung für den völlig ahnungslosen Dennis, der seine Taubheit bisher klaglos hingenommen hat. Tage vor seinem 16. Geburtstag aber eröffnen ihm die Eltern, dass seine ebenfalls gehörlose Mutter sich bewusst künstlich befruchten ließ, um ein ebensolches Kind zu bekommen. Dennis sieht sich nun als "spitzenbehindert" an, weil er quasi absichtlich behindert wurde. Selbsthass und Ohnmacht kochen in allen Dreien auf, denn die plötzliche Empfindung fehlender Normalität schmerzt wie eine offene Wunde. Da schlägt Merits Idee, ihre unbekannten Samenspender zu suchen, "mitten in den Palast ihrer Selbstverborgenheit" ein.

Ihr Aufbegehren ist ebenso unterschiedlich wie die verunsicherten Reaktionen der Erwachsenen und Dennis spricht aus, warum viele Familientherapeuten vor diesem Schritt der Ehrlichkeit gegenüber künstlich gezeugten Kindern warnen: "Wenn du nicht weißt, dass du eine Lüge bist, bist du auch keine Lüge!" Mit ungeheurer Sprachgewalt macht Ani den für Nichtbetroffene nicht leicht nachzuempfindenden ätzenden Sarkasmus glaubhaft, mit dem sich die Drei auf ihrer erfolglosen Suche quälen. Da will die Beklemmung über das Gelesene selbst nach der Hoffnung weckenden Schlusserkenntnis kaum weichen, dass sie doch immerhin alle drei Wunschkinder seien.

Fazit: ein großartiges Buch, für das der Autor spürbar gründlich recherchiert hat. Zugleich ist "Das unsichtbare Herz" ein Roman nicht nur für Jugendliche und dürfte als Filmvorlage ähnlich einschlagen wie einst Leonie Ossowskis aufwühlende "Große Flatter".

 

 

# Friedrich Ani: Das unsichtbare Herz; 224 Seiten; Carl Hanser Verlag, München; € 14,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

 

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: KJB 198 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de