EVELINE HASLER: "TELLS TOCHTER"

Aus heutiger Sicht würde man die Berner Bürgertochter Julie Bondeli (1731-1778) nicht einmal als Emanze sondern lediglich als selbstbewusst bezeichnen, zu ihren Lebzeiten jedoch waren es Freiheiten, die sie sich herausnahm, die einer Frau schlichtweg nicht zustanden. Aus der Vergessenheit herausgeholt hat die damals weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte bildungshungrige Frau die Schweizer Autorin Eveline Hasler.

"Tells Tochter" hat sie den auf sehr intensiven Recherchen aufgebauten biografischen Roman genannt und das nicht von ungefähr. Der Patrizier und Ratsherr Bondeli ließ seiner Tochter entgegen allen Koventionen Unterricht in Mathematik und Philosophie erteilen. Lehrer und bald auch enger Vertrauter war Samuel Henzi. Dieser Schriftsteller schrieb damals unter anderem ein Stück über Wilhelm Tell und stellte diesem Freiheitshelden dabei eine Tochter zur Seite. 1749 wurde Henzi wegen seiner revolutionären Ideen von der erzkonservativen Berner Obrigkeit zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Seine Schülerin Julie aber eroberte sich mit ihrem Salon als "femme des lettres" einen einzigartigen Ruf. Kein Geringerer als Rousseau, mit dem sie korrespondierte, bescheinigte ihr "den Verstand eines Mannes und den Witz einer Frau"" und Christoph Martin Wieland betrachtete sie sogar eine zeitlang als seine Braut. Mit ihrem Kampf für Demokratie und Freiheit war sie ihrer Zeit – einige Jahrzehnte vor Ausbruch der Französischen Revolution – zu weit voraus, um Erfolg zu haben. Auch privat war ihr kein Glück beschieden und sie starb mit nur 47 Jahren an Tuberkulose.

Eveline Hasler holt diese eindrucksvolle Frauengestalt in die Erinnerung zurück und glänzt dabei mit viel Zeit- und Lokalkolorit. Wo sie sich auf historisch gesicherte Kenntnisse aus Dokumenten stützen kann, macht sie dies kenntlich, und diese weitgehende Authentizität der beschriebenen Ereignisse und Dialoge macht den besonderen Charme dieses anspruchsvollen Romanes aus.

 

# Eveline Hasler: Tells Tochter. Julie Bondeli und die Zeit der Freiheit; 253 Seiten; Nagel & Kimche, Zürich; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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