RAFAEL CHIRBES: "ALTE FREUNDE"

Waren sie Helden? Luftverkäufer? Revoluzzer? Die alten Genossen kommen zum Klassentreffen im Edelrestaurant zusammen, sechs Klassenkämpfer der 68-er Generation. 30 Jahre ist es her, dass sie voller Idealismus und bis zum Fanatismus benebelt von ihren Utopien aus der Provinz ins Madrid der späten Franco-Zeit drängten. Als Mitglieder einer kommunistischen Zelle wollten sie sogar Molotow-Cocktails gegen die bleierne Diktatur einsetzen, riskierten Gefängnis.

Und nun zum Jubiläum diese Bilanzen der Desillusion. Revoluzzer, die aufs Rentenalter zutreiben, mehr oder weniger wohlsituiert, längst angekommen in einer Gegenwart des Materialismus, verloren die Ideale. "Alte Freunde" hat Rafael Chirbes diesen ebenso grandiosen wie beklommen machenden Abschluss seiner Trilogie einer Geschichte des modernen Spanien genannt. Als Ich-Erzähler breiten die Freunde ihre Geschichten, ihr Erinnern bis zum Heute aus, und es ist so schmerzlich indiskret, weil sie unweigerlich ihre Lebenslügen entlarven, die Ruinen ihrer Wünsche und Hoffnungen, die in dieser Gegenwart aus der Verdrängung auftauchen.

Haben sie sich wirklich einander so entfremdet, wie es scheint? Waren sie nicht schon damals trotz aller hehren Absichten und großen Reden einander nicht wirklich grün, ja, solch großartige Individualisten und Selbstdarsteller, dass sie sich nicht einmal richtig auf einen gemeinsamen politischen Nenner einigen konnten?! Natürlich haben sie das irdische Paradies nicht herbeigekämpft und die spanische Demokratie haben die Pragmatiker und die Bürokraten aufgebaut und nicht die glühenden Idealisten. Und trotzdem ringt sich wenigstens Amalia zu dem trotzig fatalistischen Satz durch: "Ich schäme mich für nichts, was ich getan habe."

Rafael Chirbes, geboren 1949, ist selbst ein Vertreter dieser Generation des Aufbegehrens und bei allem Bekennen der Desillusion führen die in ihren verschiedenen Ich-Perspektiven sehr gelungenen inneren Monologe doch zu dem Schluss, dass kaum etwas von ihrer Vergangenheit abänderlich war. So steht am Ende dieser hochliterarischen Analyse nicht ein boshaftes Grinsen über das Scheitern sondern ein weises melancholisches Lächeln. Und da passt dann dieses Bekenntnis eines Endfünfziger Ex-Revoluzzers zum Champagner des Abends: "Wir haben nicht erreicht, was wir wollten, also lass uns genießen, was da ist und was wir nicht wollten."

 

# Rafael Chirbes: Alte Freunde (aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz); 237 Seiten; Antje Kunstmann, München;

€ 19,90 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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