LUCAS DELATTRE: "FRITZ KOLBE"

Unscheinbar und von banaler Normalität war dieser Fritz Kolbe, 1900 als Handwerkersohn in Berlin geboren, später mit viel Fleiß zum Konsulatsbeamten aufgestiegen und nach dem Krieg mit einer unbedeutenden Karriere als Motorsägen-Vertreter. Doch für zwei Jahre im Zweiten Weltkrieg wurde dieser Mann, der geradezu das Gegenteil eines 007 war, zu dem, was die Alliierten als einen der besten Agenten bezeichneten, den irgendein Geheimdienst je gehabt habe.

Dass dieser Meisterspion dennoch hierzulande fast völlig unbekannt geblieben ist, hat zweierlei Gründe. Kolbe selbst verhinderte nach 1945 größeres Aufsehen und der Auswärtige Dienst sorgte dafür, dass der 'Verräter' nicht wieder in Deutschland Fuß fassen konnte. Es war dem französischen Journalisten Lucas Delattre vorbehalten, nun die erste Biographie über diesen unbekannten heimlichen Helden zu verfassen: "Fritz Kolbe. Der wichtigste Spion des Zweiten Weltkriegs." Die Jahre bis zur ersten Begegnung mit US-Geheimdienst-Chef Allen Dulles in der Schweiz und die Nachkriegsjahre wurden zu Recht nur kurz ausgeführt, die entscheidenden aber zwischen dem August 1943 und dem Kriegsende lesen sich wie ein Agententhriller – mit dem entscheidenden Unterschied, dass alles wahr ist und in Geheimdienstarchiven und dem Nachlass Kolbes gründlich recherchiert wurde.

Kolbes Motiv war ein absolut triftiges: er hasste Hitler und die Nazis und wollte zu ihrer Beseitigung beitragen. Seine Waffe als ebenso pfiffiger wie naiver Einzelkämpfer war der Verrat. Und hier war er an prädestinierter Stelle für entscheidende Hinweise, denn als Konsulatssekretär 1. Klasse in einer Abteilung, deren Chef Karl Ritter Verbindungsmann zwischen dem Außenamt und dem Obersten Heereskommando war, gehörte Kolbe zweifellos zu den bestinformierten Beamten des Hauses.

Um so misstrauischer waren die Amerikaner zunächst wegen des exzellenten Materials, das "George Wood", so Kolbes Deckname, da haufenweise vorlegte. Das reichte bis zu Lageplänen von Hitlers geheimem Hauptquartier "Wolfsschanze" und zu Kolbes größten Erfolgen zählte die Aufdeckung des deutschen Top-Spions "Cicero", der in der britischen Botschaft in Istanbul arbeitete. Die Erfolge hätten weitaus größer sein können, wenn vieles nicht durch übergroße Geheimhaltung und die obligatorische Einschaltung von US-Präsident Roosevelt verzögert worden wäre.

Diese spannende Biographie zeigt die erstaunlichen Möglichkeiten auf, die ein kleiner Mann gegen das Regime hatte, weil er den nötigen Mut aufbrachte. Ein Held aber wollte er nur während seines ehrenhaftes Tun sein, für das er übrigens nie einen Dollar annahm. Vielleicht sorgen dieses hervorragend geschriebene Buch und die Diskussionen, die es auslösen wird, endlich dafür, dass Fritz Kolbe auf den Gedenktafeln der hochgeehrten Widerstandskämpfer die gebührende Erwähnung findet.

 

# Lucas Delattre: Fritz Kolbe. Der wichtigste Spion des Zweiten Weltkriegs (aus dem Französischen von Michael Bayer); 399 Seiten, div. Abb.; Piper Verlag, München;

€ 22,90 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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