UDO JÜRGENS: "DER MANN MIT DEM FAGOTT"

Die Wahrheit und zugleich einen Roman verspricht Udo Jürgens im Vorwort des opulenten Buches "Der Mann mit dem Fagott", das er in Zusammenarbeit mit der jungen Schriftstellerin Michaela Moritz verfasst hat. Und der Weltstar, der im September 2004 seinen 70. Geburtstag feiert, überrascht mit einer ebenso ungewöhnlichen wie gelungenen Melange aus Autobiographie und romanhaft gezeichneter Familiengeschichte.

Fast das ganze Leben lang habe ihn die Idee zu einem solchen Buch begleitet und seit langem auch die Suche nach den Spuren der überaus interessanten Familie. So sind hier drei große Spannungsbögen in eleganter Dramaturgie miteinander verknüpft und alles beginnt mit jenem titelgebenden Fagottspieler. Ihn hörte Großvater Heinrich Bockelmann Weihnachten 1891 auf dem Bremer Marktplatz ein russisches Volkslied spielen, für den 21-Jährigen die Entscheidungshilfe, statt in die wilden USA nach Russland zu gehen, um Karriere zu machen.

Er wird erfolgreicher Banker in Moskau, verliert bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs alles und schafft nach der Flucht dennoch den Wiederaufstieg. Und der Vater von fünf später ebenfalls erfolgreichen Söhnen – darunter Udo Jürgens' Vater Rudolf Bockelmann – gehörte 1917 zu den geheimen Finanziers des Revolutionärs Lenin, wie erst viel später herauskam. Die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts prägte auch das Leben der Söhne, wie in solchen teils hochsensiblen Passagen zum Beispiel über die Gestapo-Haft Rudolfs oder der Heimkehr Johanns aus russischer Kriegsgefangenschaft beschrieben.

Jürgen Udo Bockelmann nimmt als Folge der Nazi-Zeit ein schlechtes Gehör mit in die Jugend, nachdem ihm die Ohrfeige eines HJ-Führers ein Trommelfell zerrissen hat. Er ist ein kränkliches unsportliches Kind und auch als Jugendlicher sehr schüchtern. Doch der hochmusikalische Junge hat das Glück, dass seine Eltern seinen Weg zum Berufsmusiker fördern. Schon mit 20 verdient er seinen kargen Unterhalt in Klubs und am Klavier fühlt er sich am sichersten: "Die Tasten sind meine Freunde."

Diese Geschichte des Komponisten, Pianisten und Sängers, dem in kongenialer Kooperation mit Manager Hans R. Baierlein Mitte der 60er Jahre der Durchbruch als Sänger eigenen Materials gelingt, gibt einen aufschlussreichen Einblick in die Musikszene jener Zeit. Die verschiedenen Schilderungen der Anfänge, einiger Karriere-Meilensteine, aber auch mancher Zweifel, Krisen, dem Hunger nach Harmonie und dem Drang nach ständig Neuem bleiben angenehm unprätentiös.

Udo Jürgens, der Mann mit dem "schönsten Beruf der Welt", ist bemerkenswert aufrichtig und gerade das berührt an diesem Buch so besonders menschlich. Zugleich fesselt es durch die meisterhafte Verknüpfung der verschiedenen Spannungsbögen als gelungener autobiographischer Roman aus einem großen Künstlerleben.

 

# Udo Jürgen/Michaela Moritz: Der Mann mit dem Fagott; 704 Seiten, div. Abb.; Limes Verlag, München; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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