INGRID NOLL: "FALSCHE ZUNGEN"

Wer Ingrid Nolls hinterhältigem Charme einmal erlegen ist, der kann sich gar nicht sattlesen an diesen Geschichten voller giftbehafteter Idyllen, die so gerne einen im Sinne des Wortes finalen Schlusssatz haben. Nur mit gewissem Zögern mag man da ihren neuen Band mit gesammelten Geschichten als Bettlektüre empfehlen, denn zuweilen schleicht sich doch ein klitzekleines beunruhigendes Grausen ein. "Falsch Zungen" heißen Buch und Titelgeschichte und gleich wird man an den so dezent heimtückihschen Roald Dahl erinnert, wenn eine Mutter durch das Tagebuch ihres lieben Söhnchens der Seelenruhe beraubt wird.

Häufig kommt bei der liebenswürdigen Autorin im besten Großmutteralter der Tod auf leisen Sohlen und erst ganz zum Schluss. Doch sie kann auch anders, gewissermaßen untödlich, aber wenigstens ein Quäntchen Rache muss einfach sein. Manches glänzt dann lediglich als trocken-witzig geschriebenes Schmankerl oder man beginnt sich ihrem perfiden Schmunzeln anzuschließen bei den Abhandlungen aus "Nolls Nähkästchen", wo sie mit sanfter Ironie über den allseits unausrottbaren Weihnachts-Fanatismus herzieht. Mit solch einer Einstellung kommt sie gewiss nicht in den Himmel, aber der wäre ihr sicher auch zu fad als Daueraufenthalt. Da steigert sie sich doch lieber in solch zwerchfellerschütternde Berichte von einer einer bürgerlich gewordenen Domina oder – schon wieder Weihnachten! – sie erzählt eine absolut schräge Version von Jesu Geburt.

Einige der Geschichten sind bereits in Zeitschriften erschienen, manche werden hier erstmals veröffentlicht. Immer aber sind sie durchdrungen vom kleinen und zuweilen ganz schön gemeinen Wahnsinn der Alltäglichkeit, der nur ein klein bisschen von der Normalität abweicht. Das jedoch mit diesen ungeahnten Noll'schen Folgen.

 

# Ingrid Noll: Falsche Zungen; 253 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 18,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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