HORST JANSSEN: "ACH LIEBSTE, FLIEG MIR NICHT WEG"

"Du bist der kühlste wärmende Sommerwind, der mich je fächelte". Als der große Zeichner und Grafiker Horst Janssen (1929-1995) diese poetischen Worte 1973 an seine Geliebte Gesche Tietjens schrieb, war ihre Beziehung bereits in der Auflösung, wenngleich sie schon wegen des gemeinsamen Sohnes nie ganz abbrach. Diese Gesche, 14 Jahre jünger als das Genie und selbst künstlerisch tätig, hat nun einen wunderbaren Band mit Briefen Janssens herausgegeben.

"Ach Liebste, flieg mir nicht weg" ist er überschrieben und auch dies ein Zitat. Gesche Tietjens schildert eingangs ebenso scharfsichtig wie trocken-humorig, wie sie den arbeitswütigen Berserker mit den immer wiederkehrenden Alkoholexzessen 1968 kennenlernte und wie 1969 ihre schwierige innige aber auch chaotische Liebe begann. Als "nachtblaues Falter- und Seelenleben" bezeichnet sie diese "Fusion mit Janssen", der mit seiner Neigung zu hysterischen Ausfällen und lemurenhaften Phasen der Unausstehlichkeit oft nur schwer oder auf Distanz zu ertragen war.

Wohl auch deshalb wurde Janssen zum unaufhörlichen Briefeschreiber, dessen Hang zum exaltierten Melodram oft genug überdeutlich wird. Und er fasziniert mit einer sehr eigenen Diktion auch als Schriftsteller, als der er ja ebenfalls erfolgreich wurde. 20000 Briefe soll er hinterlassen haben, Gesche Tietjens öffnet hier nur die an sie gerichteten sowie einige eigene an ihn. Damit gestattet sie ungeahnte Einblicke in die "Unruh-Mechanik seiner Psyche" und seines wahrhaft unbürgerlichen Alltagslebens. Das versoffene Genie offenbart sich unerwartet als Erz-Romantiker und bedient sich oft einer eigentümlichen Sprache voller Poesie und Bildern.

Da sendet er der schmerzlich Vermissten hinreißende Liebesgedichte, die von ungebremster Empfindung überquellen. Um dann wieder in den Exzess abzurutschen, zu dem er sich bis zur Koketterie selbstkritisch bekennt. Er liebt ihren Stolz und ihre Kraft und kann dennoch seinen Jähzorn nicht bändigen, dieses Schwanken zwischen Liebesrausch, Größenwahn und Düsternis, gepaart mit der Unfähigkeit zu längerwährender Muße oder auch nur "sich dem Schlaf brüderlich zu überlassen."

Dieses Erinnerungsbuch ist in Kombination mit den zahlreichen Zeichnungen und Fotos eine großartige Nahaufnahme des schnoddrigen Ausnahmekünstlers und zugleich eigentlich Gesche Tietjens zarter Liebesroman aus einem wirklichen Künstlerleben.

 

# Horst Janssen: Ach Liebste, flieg mir nicht weg; Hrsg. Gesche Tietjens; 256 Seiten, div. Abb.; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 22,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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