CARSTEN OTTE: "SCHWEINEÖDE"

Von Ostalgie kann man wahrlich nicht sprechen bei dem Entschluss von Raimund W. Kuballa, sich auf mindestens zehn Jahre im Berliner Arbeitervorort Schöneweide anzusiedeln. Man schreibt das Jahr 1991, Kuballa ist eben 24 Jahre alt, irgendwie von West-Frust geschüttelt und nun der Schritt vom beschaulich gepflegten Bonn-Bad Godesberg in diese Vorstadtwüste, die selbst für DDR-Verhältnisse schäbig ist.

Nicht umsonst titulieren die Bewohner ihr Viertel selbst als "Schweineöde", was allerdings nur echte Einheimische dürfen. Zugleich ist "Schweineöde" der Titel von Carsten Ottes Debütroman über die Tragikomödie des Kuballa, der irgendwann immer stärker abdreht. Er ist kein schöner Mensch trotz vollem schwarzen Haar und 187 cm Sportlerfigur, seine Eltern führen ein Luxus-Restaurant im schnieken Bad Godesberg und haben null Verständnis für seinen Fimmel. So wenig wie er für sie, stattdessen hat er Marx und Lenin gelesen.

Und nun eben als ultimativer Kick diese winzige dunkle Wohnung in einer Bruchbude von Altbau, umgeben von all den Verlierern der Wende. Die Kontakte sind speziell und irgendwann irritiert selbst die hartgesottenen Ostler, mit welchem Eifer Kuballa sich dem Osten und schließlich sogar dem Wesen der Staatssicherheit verschreibt. Wenn sie auch nur ahnten, dass er als Millionen-Erbe von seinen Zinsen lebt....

Davon erfährt auch Jana nichts, mit der eine seltsame Liebesgeschichte einsetzt. Immer wieder darf er sie in die Sauna begleiten, sieht sie also stundenlang so, wie er sie gern 'hätte' – und leidet monatelang unter dem entsprechenden Triebstau. Zugleich geistert da ein ominöser Postamtsüberfall durch die Geschichte, mit dem anscheinend fast alle auf die ein oder andere Weise zu tun haben.

Wie Kuballa diesen schrägen Lebensumständen jahrelang eine Art Zufriedenheit abtrotzt, um dann ab etwa 1995 immer mehr Enttäuschung über das Schwinden des typischen Ostcharakters zu empfinden, das hat etwas drollig Satirisches mit viel Hintersinn und einem zuweilen sehr dunkel gefärbten Humor. Fazit: Eine Art 'Ostalgie spezial' und ein Debüt, das Lust auf mehr macht.

 

 

# Carsten Otte: Schweineöde; 261 Seiten; Eichborn Verlag, Frankfurt; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

 

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