CHUCK PALAHNIUK: "LULLABY"

Sollten Sie jemals in den Besitz des Buches "Gedichte und Lieder aus aller Welt" geraten, so lesen Sie niemals jemanden daraus das afrikanische Wiegenlied auf Seite 27 vor – es könnte tödlich enden! Diesen Verdacht jedenfalls muss man hegen, wenn man Chuck Palahniuks Gänsehaut-Roman "Lullaby" gelesen hat.

Da ist es der Zeitungsreporter Carl Streaton, Anfang 40, der bei Recherchen zu einer Serie über den so genannten Plötzlichen Kindstod immer wieder auf dieses Buch mit der jeweils aufgeschlagenen Seite 27, stößt. Und waren seine Frau und sein Baby damals nicht auch nach dem Vorlesen unvermutet und ohne äußere Einwirkung verstorben?! Streaton, dem verstörten Einzelgänger, der an der Zivilisation leidet und sich vom allgegenwärtigen Lärm umzingelt fühlt, graust es bei dem Gedanken, was passierte, wenn diese in Afrika Merzlied genannten Zeilen einmal per Radio Hunderttausenden zur selben Minute dargebracht würden....

Doch es gibt da auch die nicht ganz seriöse Maklerin Helen Boyle, die sich auf den lukrativen Verkauf von angeblichen Spukhäusern spezialisert hat. Sie kennt die Gefahren des Buches ebenfalls, allerdings ebenso gut die ungeahnten Möglichkeiten gegenüber Leuten mit lohnenden Eigenschaften. Als sie und Streaton zusammentreffen, entwickelt sich eine denkwürdige Allianz zur Vernichtung der Restbestände des mörderischen Buches.

Dazu gehört auch Helens Sekretärin Mona und der Schnösel Oyster und nun dreht der berserkerhafte Roman endgültig auf zu einer Achterbahnfahrt der Ereignisse, zumal da jemand mit diesem 'Buch der Schatten' seine sehr eigenen Ziele verfolgt. Doch auch Carl verfällt dem Reiz der Macht des Wiegenliedes und das surreale Geschehen steuert in ein monströses Horrorfinale.

Wenn Worte töten können, sind sie bei diesem Kultautor des Wahnwitzes mit dem grimmig-zynischen Humor in der denkbar richtigen Hand. Das reicht dann von galliger Satire bis zu atemberaubend abstruser Fantasie. Fazit: ein virtuoser Danse Macabre, aber ganz gewiss nichts für feinsinnige Geister. Andererseits darf man wetten, dass der ein oder andere Leser das Merzlied gerne kennenlernen möchte, zum Vorlesen....

 

# Chuck Palahniuk: Lullaby (aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz); 255 Seiten; Manhattan Verlag, München; € 19,90 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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