TOBSHA LEARNER: "DIE HEXE VON KÖLN"

Ruth bas Elazar Saul ist 23, Hebamme mit bestem Ruf und medizinischen Kenntnissen sowie philosophischem Wissen, beides erworben bei holländischen Meistern ihres Faches. Ihr Problem ist: man schreibt des Jahr 1665 und sie lebt im rechtsrheinischen Deutz, gegenüber der Heiligen Freien Katholischen Reichsstadt Köln. Mit ihren Fähigkeiten und dann noch als Jüdin kann sie für den dortigen Klerus nur eines sein – eine Hexe!

"Die Hexe von Köln" hat Tobscha Learner ihren großen Roman denn auch genannt, in dem Ruth schon bald als solche gejagt wird. Doch es ist nicht nur das gefährliche Gedankengut, das sie vertritt, es gibt da jenen Solitario, einen besonders fanatischen Vertreter der Inquisition, der ein sehr persönliches Interesse an ihrer Vernichtung hat. Der gerissene Mönch will Rache wegen Ruths verstorbener Mutter, die ihn als jungen Priester einst verschmähte.

Sein Gegenspieler wird Detlef von Tennen, junger Kanoniker des Hohen Doms zu Köln, Cousin des Erzbischofs von Köln und ein heimlicher Bewunderer jener modernen Lehren des holländischen Philosophen Spinoza, die Ruth studiert hat. Noch aber dominieren die allmächtigen religiösen Wahnideen über fast jeden Ansatz von Vernunft, wie Detlef weiß: "Wie mächtig kann der Glaube sein, wenn der Mensch ihn mit Aberglauben durchdringt." Die Schergen Solitarios fangen einige ausgesuchte bürgerliche Opfer als Lutheraner und Hexer. Und dann Ruth. Der Kanonikus rettet sie in letzter Sekunde aus der Folterkammer und es entspinnen sich atemberaubende Intrigen, denn hier geht es nicht nur um die gottlose Verderbtheit der so genannten Heiligen Inquisition. Handfeste Machtkämpfe nach den Verwüstungen des 30-jährigen Krieges werden da zwischen Fürsten und Kaiser ausgetragen.

Detlef, der bisher deftige Sinnenfreuden mit einer schönen geilen Kaufmannsfrau erlebte, ist fasziniert von seiner klugen Gefangenen, zugleich üben die Juden Druck auf den Erzbischof aus, der hohe Schulden bei ihnen hat. Tatsächlich kommt Ruth frei und sie und Detlef entbrennen in Leidenschaft zueinander. Doch der davon gejagte Inquisitor kehrt zurück, im August 1665 bricht die Pest in Köln aus und eine düpierte Geliebte sinnt auf Rache....

"Die Hexe von Köln" ist von Beginn an ein bewegendes Epos um den hohen Widerstreit zwischen dem noch nicht überwundenen finsteren Mittelalter und dem Anbrechen der neuen Zeiten mit modernen Ideen. Die britische Autorin hat diese ebenso lebensprallen wie dramatischen Ereignisse ungemein fesselnd beschrieben. Hinreißende Szenen voller Farbe und Sinnlichkeit lassen eindrucksvolle Bilder entstehen und auch die Charaktere sind meisterhaft gezeichnet. Das detailgenaue Zeit- und Lokalkolorit lässt exzellente Recherchen erkennen und nur übersensible Leser werden ihre Probleme mit delikaten erotischen Schilderungen und noch mehr mit den überaus realistischen Beschreibungen von Folter und anderen Grausamkeiten haben. Diese zuweilen herben Passagen sind jedoch so lebensnah gestaltet, dass sie den großen Lesegeneuss nicht schmälern sollten.

 

 

# Tobscha Learner: Die Hexe von Köln (aus dem Englischen von Betty Anders); 613 Seiten; Egmont VGS, Köln; € 24,90 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

 

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