O. WIDMAIER PICASSO: "PICASSO – PORTRÄT DER FAMILIE"

Ein neues Bild vom ‚Mysterium Pablo Picasso‘? Nach frühen Sensationsschreibereien und den einseitig gefärbten Memoiren früherer Geliebter des Jahrhundertgenies legt nun dessen Enkel Olivier Widmaier Picasso mit "Picasso – Porträt der Familie" eine ganz andere Art der Biographie vor. Der Autor schränkt selbst ein, dass er keine Biographie im traditionellen Sinne versucht habe, zugleich sind ihm Recherchen in den der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Archiven der Familie ebenso vergönnt gewesen wie viele Gespräche mit Zeitzeugen.

Er war elf, als der berühmte Großvater starb. Er hat ihn nie persönlich zu Gesicht bekommen, dennoch wird er für für den Sohn von Picassos unehelicher Tochter Maya erst an diesem 8. April 1973 lebendig. Mit einer wohltuenden Mischung aus liebevoller Sachlichkeit und nüchtern akribischer Recherche versucht er, diesen Ausnahmekünstler des 20. Jahrhunderts in ein realistischeres Licht zu rücken. Es gelingt ihm die romanhaft spannende Lebenschronik eines außergewöhnlichen Menschen, der von einem "animalischen Magnetismus" beseelt war und von dem Präsident Pompidou 1971 zum 90. Geburtstag sagt, er sei "ein Vulkan, der niemals erlischt."

Der Autor räumt mit manchen falschen Mythen auf wie denen vom egozentrischen Frauenverschlinger oder übellaunigen Geizkragen. Außer Zweifel bleiben dabei die zahlreichen Liebesbeziehungen, die immer wieder neue Schaffensperioden beeinflussten oder auslösten, zumal das abergläubische Genie in seiner unbändigen Schaffenskraft von außerordentlicher Stimmungsvielfalt beherrscht war und auch manches Doppelspiel trieb. Gerade das ließ ihn immer wieder zu höchster Kreativität auflaufen, doch wenngleich Francoise Gilot später sogar von ihm sagte, er sei "ein richtiger Teufel" gewesen, so war er zugleich ein zärtlicher Liebhaber und entgegen anderen Darstellungen sehr großzügig.

Gerade die 40 Jahre jüngere Francoise begriff offenbar wie keine andere Frau die Seele und die Bedürfnisse dieses vom Schicksal verwöhnten Ausnahmemenschen. Der Autor zeichnet ein an Detailreichtum so noch nie vorgelegtes Porträt des Genies, dessen künstlerische Besessenheit bis zum Tag vor dem Tod nicht nachließ. Der kleine Mann (1,65 Meter), der sich Normen nicht beugte, sondern selbst neue setzte und quasi die Moderne Kunst erfand, hinterließ ein ungeheueres Werk, zu dem neben 1.885 Gemälden tausende weiterer Kunstwerke gehörten.

Das Gesamtvermögen des Nachlasses wurde auf etwa 695 Millionen Euro geschätzt, doch Materielles hat Pablo Picasso nie sonderlich interessiert. Wirklich geizig sei sein Großvater nur mit einem gewesen - mit seiner Zeit. Fazit: ein faszinierendes Buch, das viel von dem Menschen Picasso offenbart, der sich hinter dem genialen Künstler verbirgt.

 

# Olivier Widmaier Picasso: Picasso – Porträt der Familie (aus dem Französischen von Nikolaus G. Steiger, Egbert Baqué, Claudia Steinitz); 336 Seiten, div. Abb.; Prestel Verlag, München; € 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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