HELMUT KRAUSSER: "STROM"

Nach den Romanerfolgen der letzten Jahre legt Helmut Krausser nun mit "Strom" seinen zweiten Lyrikband vor. 99 Gedichte aus der Zeit von 1999 bis 2003 umfasst er und der Sprachberserker bleibt sich treu. Mal hart bis schmerzlich eindeutig, direkt, indiskret, mal von spröder Poesie wie in den Romanen fallen seine Gedichte wie Glassplitter aus dem Dichterhimmel. Und dennoch, er kann auch überraschend anders, da wird er auf herbe Art verspielt oder fast Ringelnatz-artig böse nett wie in "Die Kanine und der Frett". Ironisch ist er gern, um gleich wieder umzuschwenken oder in "Leuchtmusik" mit wenigen Zeilen ein starkes melancholisches Bild zu zeichnen, das nachdenklich macht. Spielereien und Experimentelles sind eingestreut oder so Skurriles wie das wunderbar unanständige Gedicht von der "Nacktputzfrau".

Die freie Form überwiegt und er erlaubt sich, nicht nur sich selbst sondern überhaupt jeden, der noch Gedichte schreibt, zum Narren zu erklären. Besonders köstlich aber sind seine Elaborate aus der Reihe "Historische Gedichte und alkoholische Zusammenhänge" von heimtückischer Hintergründigkeit, wenn er da vom Ansporn für das Werk eines Karl Marx oder über den reuigen Jack the Ripper philosophiert. Um schließlich als wahrer Philosoph von der nachttrunkenen Art die grandiose Kain-und-Abel-Frage zu stellen, die dann so herzlos undankbar unbeantwortet bleibt.

Puristen und Germanisten werden vielleicht ihre Mühe mit diesen poetischen Geistessplittern haben, zumal manches einfach nur schräg ist. Eines aber ist der Poet Helmut Krausser immer: herzerfrischend unvorhersehbar! Und für Zweifler an seinen Talenten seine klare Antwort mit dem Gedicht "kritiker": und denkst du gar, jetzt bin ich wer/kommt irgendwo ein wichtlein her/und sagt dir, dass du niemand bist./was letztlich sicher richtig ist,/betrachtet man den stoßverkehr,/dahinter, weit und still, das meer.

 

# Helmut Krausser: Strom; 112 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 16,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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