HANSJÖRG BETSCHART: "UNRUH"

Im Jahr 1786 erscheint bei Bern ein Findelkind, dessen unheimlicher gelber Blick samt dem ständigen Zählen und Rechnen sich auch nicht legen, als seine bäuerlichen Pflegeeltern ihn christlich auf den Namen Laurent taufen lassen. Der Junge ist ansonsten stumm, altert überschnell und sein Pulsschlag ist stets der gleiche.

"Unruh" heißt der Debütroman des Baseler Regisseurs Hansjörg Betschart und eine Unruh gibt es nicht nur in Uhren, denn Laurent wird selbst zu einer, wo immer er auftaucht. Schon die Pflegeeltern treibt er in Wahnsinn und Tod und auch die bizarren Ereignisse im hungernden Bernerland führen um ihn herum zum obskuren Wunder von St. Ivers, bei dem Blut fließt. Auch sonst gerät die Zeit aus dem Lot, wenn er die Finger im Spiel hat, die aber will Laurent offenbar messen und zähmen.

Doch es gibt noch andere Erzählebenen und die sind nicht minder schräg mit ihrer knorrig-skurrilen Komik. Da sorgt der schöne Dr. Curtius für ein kurz aufflackerndes Eheglück bei Marie Grossholtz, Gattin eines gebeutelten Scharfrichters. Curtius senior schließlich erlangt seltsamen Ruhm als Zeitwächter und so kommt die Geschichte, in der alle irgendwann miteiander zu tun haben, zur Zunft der berühmten Berner Uhrmacher. Bei ihnen wiederum setzt immer mehr das freiheitliche Denken der Zeit vor der Französischen Revolution Akzente.

Für Laurent jedoch ist es die Erfüllung, die er bei den Uhrmachern findet, denn er hat den absoluten Blick für alles Mechanische. Und den erkennt der große Uhrmachermeister Jacquet-Droz, der Laurents Genie tückisch ausnützt, zerfressen von Missgunst und Eifersucht auf dessen Fähigkeiten. Laurents Erfindungen scheinen Teufelswerk zu sein, obwohl sie für ihn nur die Gesetze der Physik bedeuten. Jacquet-Droz aber zahlt nach einer abstrusen Audienz bei der spanischen Königin einen hohen Preis für seinen Ehrgeiz. Laurent dagegen erfindet immer verrücktere feinmechanische Apparaturen und Puppen und konstruiert sogar eine Dezimaluhr, wie sie zum Finale in den Wirren und Verrücktheiten der Französischen Revolution gefordert wurde, um die kirchliche Zeitrechnung abzuschaffen.

Von Beginn an ist dieses Possenspiel voller knorrig derber Fantasie und ebensolchen, meisterhaft treffsicheren Sätzen. Da wechseln sich schwyzerisch penible Haarspaltereien mit satirischen Seitenhieben auf Kirche und Obrigkeit ab, dass es einem das Zwerchfell erschüttert. Hansjörg Betschart ist ein deftig verquerer Roman aus wilden historischen Zeiten gelungen, den man getrost mit Patrick Süskinds "Parfüm" in einem Atemzug nennen darf. Und zuweilen könnte man fast meinen, er zöge ganz nebenher auch die braven Eidgenossen ein wenig durch den Kakao....

 

 

# Hansjörg Betschart: Unruh; 351 Seiten; Nagel & Kimche, Zürich; € 19,90 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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