ALONA KIMHI: "DIE WEINENDE SUSANNAH"

Sie ist 33 Jahre, hypersensibel, lebensunfähig und dabei eine ätzend scharfe Beobachterin dieser Welt. "Die weinende Susannah" – so der Titel dieses atemberaubenden Romans von Alona Kimhi – heißt auch noch mit Nachnamen Rabin, ist aber mit 'dem' Rabin nicht verwandt. Was allerdings ein geringes Problem wäre und ihrer gluckenhaften echt jiddischen Momme aus politischer Überzeugung gut gefiele.

Nein, wenn diese Susannah als Ich-Erzählerin aus ihrem Leben berichtete, sind es Schilderungen aus einem geradezu autistischen Kerker und die Bandbreite ihrer Empfinden pendelt bevorzugt zwischen Panik und Paralyse. Man kann nur ahnen, ob allein der Tod des geliebten Vaters vor Jahren diesen Absturz in die Absonderlichkeit verursacht hat. Mit intensiver Überzeugungskraft und messerscharfer Beobachtungsgabe legt die "geschlechtsverhinderte" junge Israelin dar, wieso Körper und Seele des Menschen "unerschöpfliche Quellen der Hässlichkeit" sind. Ohnehin verursacht ihr alles Körperliche Scham und Ekel, sie ist unfähig im Beisein Anderer Nahrung zu sich zu nehmen und natürlich gibt das Probleme bei Notdurft, Menstruation und allgemeiner Hygiene.

Doch welch eine Art des Erzählens, so intim, direkt und mit schonungslosem Röntgenblick, wie man sich das nur im Selbstgespräch erlauben darf ohne anzuecken. Das läuft auf zu manch abstruser Komik und Glanznummern intelligenten Humors, wenn sie zum Beispiel nach langem störrischem Verhalten mit erregendem Hochgenuss endlich allein in ihrem Zimmer in eine Vase pinkelt. Aber selbst in ihrer klaustrophobischen Dauerselbstbemitleidung gibt es einen Lichtblick: ihre Verehrung für den schönen englischen Dichter Shelley.

Und genau dessen Ebenbild bricht plötzlich wie ein Erdbeben in ihr psychotisch wohlgeordnetes Leben ein, als Vetter Naor aus New York sich für einige Zeit in der kleinen Mietwohnung einnistet, in der sie mit ihrer Mutter seit jeher lebt. Anfangs lähmt die Gegenwart dieses charmanten Taugenichtses sie völlig, doch er hat "ein Talent, anderer Leute Fimmel zu erkennen" und ihm gelingt es eines Tages mit einem Satz, sie von einem ihrer Anfälle zu kurieren. Er akzeptiert ihre Spinnerei einfach nicht, widmet sich jedoch ihrer Person und der selbt gezogene Kreis um sie herum bekommt einen Sprung, als er sie sogar zum Lachen bringt.

Wenn dieser flüchtige Eindringling sie schließlich zum Leben erweckt, dann hat das auch erlesene erotische Momente, wenngleich sonst eine schlagkräftige Sprache vorherrscht, die jedem Respekt mit verstörender Klarheit und Schärfe ins Gesicht spuckt. Und irgendwann zerreißt sogar die schicksalschwere Mutter-Tochter-Beziehung und es gibt den grandiosen Augenblick der Erkenntnis: "Es gab mich. Ich lebte."

Selten ist ein so wortreiches Buch derartig fesselnd, doch immer wieder finden sich wahre Juwelen im überschäumenden Satzwerk und man möchte keines der vielen Worte missen. Und nicht zuletzt ist "Die weinende Susannah" ein israelischer Roman und so fließt in diesen so wenig normalen Alltag Susannahs um so mehr ein vom irrationalen Alltag des gegenwärtigen Israel.

 

# Alona Kimhi: Die weinende Susannah (aus dem Hebräischen von Ruth Melcer); 445 Seiten; Carl Hanser Verlag, München; € 24,90   WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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