RALPH FREEDMAN: "RILKE – DER MEISTER"

Nach dem opulenten und sehr tiefgründigen ersten Teil von Ralph Freedmans großer Biografie zu "Rainer Maria Rilke – Der junge Dichter 1875 – 1906" liegt nun die Fortsetzung "Der Meister 1906 – 1926" vor. Sie setzt zu der Zeit ein, als Rilke sich von August Rodin getrennt hatte und sich immer ausschließlicher dem eigenen dichterischen Schaffen zuwandte.

Mit viel Feinsinn ergründet der Literaturprofessor das einzigartige und geradezu exemplarische Künstlerleben, das voller persönlicher Widersprüche steckte. Rastlos, übersensibel, impulsiv und von Unschlüssigkeit geplagt, ist er ein Getriebener mit peinigenden Schaffenskrisen. Zehn Jahre braucht er für die "Duineser Elegien" und auch seine anderen Meisterwerke, die ihn wie "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" (1910) und "Die Sonette an Orpheus" (1923) international berühmt machten, entstanden unter steten emotionalen Qualen.

Bei all den Höhen und Tiefen seines wechselvollen kurzen Lebens bewahrte er sich einerseits immer die große romantische Grundhaltung, andererseits benannte er die Liebe als Urgrund seines Dichtens – und schwankte zugleich zwischen einer ansehnlichen Zahl von Frauen hin und her. Freedman bringt die verschiedenen Beziehungen und deren Bedeutung für das Sein und Schaffen Rilkes ebenso detailliert in die Biografie ein wie die großen historischen Umbrüche seiner Zeit mit Weltkrieg und Revolution, die den zeitweilig politisch links stehenden Dichter teils direkt betrafen, ja sogar bedrohten.

Es wird deutlich, wie sehr Rilke den Dichter an sich verkörperte mit all den manisch-depressiven Schwankungen zwischen Schaffenskraft, Einsamkeit, Sehnsucht und Krisen bis hin zum frühen Siechtum. Der Autor zeichnet anhand einer reichen Fülle von Quellen ein umfassendes und sehr nuanciertes Bild eines deutschen Dichters, dessen Rang wohl nur Goethe zu überbieten vermag.