WILL SELF: "WIE TOTE LEBEN"

Kann ein Schriftsteller 447 Seiten lang Gift und Galle spucken, den Tod verhöhnen und das auch noch mit ebenso brachialer wie erlesener Sprachgewalt? Ja, wenn es sich dabei um Will Self handelt und er so gekonnt mit grimmigem Grinsen unterhalb von Tabugrenzen lustwandelt, wie der britischen Kultautor das in seinem neuesten Werk "Wie Tote leben" tut.

Lily Bloom ist seine Hauptfigur, die mit 66 Jahren krebskrank im Sterben liegt und im Morphium-Delirium hasserfüllt und rüde gegen alles und jeden wettert. Um ihr Krankenbett schwirren zwar die beiden Töchter, die eine ein verkommener Junkie, die andere eine dumm-spießige Hausfrau, sie sind jedoch eher lästige Staffage. Viel interessanter ist da Phar Lap Jones, ihr abgefahrener Aborigine-Totenführer, der sie nach ihrem Ableben in die entsetzlich langweilige Totensiedlung Dunston bringt.

Hier hat Lily 13 Jahre lang Gelegenheit, in einer miesen Souterrainwohnung ihre Nach-Todeszeit als ein Art Vorhölle zu genießen. Das ist durchaus nicht unverdient für die alte Schlampe, die hier von bizarren Kretins umgeben ist sowie von ihrem Sohn, dessen Tod mit neun Jahren sie einst verschuldete. Mitleid wäre nicht sonderlich angebracht, kommt aber auch gar nicht erst auf angesichts dieses hasstriefenden Monologs der Alten.

Geradezu lustvoll knabbert sie am Ekel über all die Grantelgründe der Welt und überhaupt das Leben und die Mittelmäßigkeit jeglichen Daseins. Da wird jeder der oft wüsten Sätze zum schwergewichtigen Tiefschlag. Das ist intelligent, bitterböse und Satire der finstersten Provenienz. Nichts für feinsinnige Leser, gleichwohl ein literarischer Geniestreich.

 

# Will Self: Wie Tote leben (aus dem Englischen von Klaus Berr); 447 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 24,50 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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