FRIEDRICH ANI: "WIE LICHT SCHMECKT"

Lukas Brenner ist ein Einzelgänger und sein einziger Wunsch für den 14. Geburtstag macht seine Eltern fassungslos: drei Tage will er einfach allein in München herumstromern. Natürlich verstehen sie das falsch in der typischen Entfremdung zwischen ihnen und dem Pubertierenden, der am liebsten Samuel Beckett liest. Und so haut er am Geburtstag ganz früh morgens einfach ab.

"Wie Licht schmeckt" nennt Friedrich Ani das, was er Lukas als Ich-Erzähler berichten lässt. Eine ungewöhnliche und mitreißende Geschichte, denn Lukas, dem die Beckett-Lektüre grad richtig ins düster-sarkastische Weltbild passt, stolpert im Sinne des Wortes auf einer Rolltreppe über Sonja. Erst allmählich geht ihm auf, dass die attraktive 17-Jährige blind ist. In seiner Sprödigkeit braucht Lukas einige hin- und hergerissene Umwege, ehe er ihr folgt und sich eine seltsame Beziehung entwickeln kann.

Sonja bringt sein ganzes um sich selbst kreisendes Denken durcheinander. Sie jobbt als Kellnerin und sie ist sehr geschickt dabei, obwohl sie nichts sehen kann. Dann lädt sie ihn sogar ins Schwimmbad ein und dort passiert etwas, das ihrer beider Leben aufwühlt: Lukas ertrinkt beinahe und ausgerechnet dieses blinde Mädchen rettet ihn. Als er sie und ihre Freundin später einfach vondannen ziehen lässt, weil er längst noch nicht mit sich selbst im Reinen ist, fühlt er sich sehr verlassen und hadert mit sich selbst.

Er stromert durch das sommerabendliche Schwabing und versucht, wie es sein mag als Blinder. Es entsteht eine neue Weltsicht, aber das geht nicht ohne Blessuren ab. Doch da ist dieses ungeahnte Geschenk - Sonja hat ihm heimlich ihre Telefonnummer zugesteckt und so findet er sie in ihrer Wohnung. Und nach dem ersten Kuss rast sein Herz und das noch viel mehr nach einer fast platonischen und dennoch sehr intimen Stunde im Bett. Viel tiefer gehende Lehren sind es jedoch für Lukas, als sie ihn in einer ähnlich wunderschön beschriebenen Szene später lehrt zu beobachten, zu riechen, zu schmecken: "Als wäre der Wein Licht, das man trinken kann."

Er lernt die Welt viel intensiver, mit allen Sinnen zu erleben. Außerdem weiß er, dass er Sonja nie wieder verlieren will, auch wenn offen bleibt, wie das gelingen soll. Und all diese Gedanken und Gefühle spürt auch der Leser aus nächster Nähe, denn einmal mehr fesselt der Autor mit einer ungeheuer dichten, genauen Sprache. Da ist auch die Neigung zu altersgemäßen Übertreibungen in den Gedanken des Ich-Erzählers angemessen, zumal sie immer wieder gekonnt von einer lakonischen Selbstironie gebrochen werden.

Nach "Duch die Nacht, unbeirrt" hat Friedrich Ani erneut ein meisterhaftes Stück Literatur nicht nur aber ganz besonders für Jugendliche geschrieben, an dem auch erwachsene Leser ein großes und lehrreiches Vergnügen haben werden.

 

# Friedrich Ani: Wie Licht schmeckt; 191 Seiten; Carl Hanser Verlag, München; € 12,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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