SUSAN ELDERKIN: "DER MOND ÜBER DEN SCHOKOLADENBERGEN"

Ein Märchen für Erwachsene und einer dieser seltenen funkelnden Romane, bei denen man schon bald süchtig wird und weiß, dass man ihn mehr als dieses eine Mal lesen wird, das ist "Der Mond über den Schokoladenbergen" von Susan Elderkin. Sie erzählt von dem Engländer Theobald Moon, der mit 34 Jahren nach Arizona auswanderte, und sie erzählt in einer feinfühligen Prosa, so hell und flirrend wie ein typischer Tag in dem scheinbar grenzenlosen Land.

4000 Quadratmeter Wüstengrund mit zwei riesigen Saguaro-Kakteen darauf nennt der zaghafte Einsiedler sein eigen, auf denen er in einem aufgebockten Wohnwagen haust. Hier philosophiert der sanfte 140 Kilo-Koloss über Zeit und Ewigkeit und genießt nicht nur die Wunder der Jahreszeiten in der Sonora-Wüste. Wie der Titel ahnen lässt, hat seine Leibesfülle mit seinen maßlosen Essgewohnheiten zu tun und neben all seinen skurrilen Ritualen verdient er seinen Lebensunterhalt mit immer neuen Eiscreme-Kreationen.

Theobald Moon und der Mond, sie sind wie "Brüder im selben Universum", ansonsten pflegt er nur zu dem kauzigen Hünen Jersey Kontakt, denn "menschliches Verhalten ist zu kompliziert, zu unberechenbar". Für die wenigen Einheimischen gilt er als verrückt oder eben typischer Engländer. Und er genießt die farbenprächtige, geheimnisvolle Weite zwischen den Bergen, sich selbst und dem Himmel.

Bis in Sichtweite ein weißer Eiswagen mit einem Pärchen darin auftaucht und verharrt. Es sind Eva und Tibor und hier nun kommt eine hinreißende Liebesgeschichte ins Spiel, die in Osteuropa beginnt. Dazu gehört eine abenteuerliche, geradezu aberwitzige Flucht bis nach Amerika. Es sind wuchtige Schnitte in der hervorragenden Dramaturgie des Romans von der Sonnenglut Arizonas in die verschneite Tschechoslowakei und es ist ein krasser, fast körperlich zu spürender Unterschied zwischen jener Grenzenlosigkeit der Wüste und der Maloche in der lauten, stinkigen Schuhfabrik, in der Eva arbeitete, sowie der klaustrophobischen Enge und Beschränktheit des spätsozialistischen Osteuropa.

Die gekonnten Zeiten- und Ebenenwechsel schaffen dabei eine große Dichte und eine stille, unaufgeregte Spannung, die den Leser nicht mehr loslässt. Und dann ist da als genialer Regieeinfall die kleine Josephine als Ich-Erzählerin. Josephine? Allmählich erst eröffnet sich das Geheimnis um die seltsame Begegnung zwischen dem ebenfalls eiscreme-kreativen Liebespaar und Theobald Moon, der dem Mädchen ein rührender, kauziger Vater ist, der ihr die Welt mit immer neuen Geschichten erklärt. Wie der spleenige Außenseiter in seiner gutmütigen Naivität ohnehin ständig an Sympathie gewinnt.

"Der Mond über den Schattenbergen" ist ein Debütroman von ungewöhnlicher Originalität in seiner intelligenten Vielfalt und dieser melancholischen, nie überbordenden Poesie des Absurden. Zugleich besticht die zutiefst menschliche Geschichte durch brillant gezeichnete Charaktere, wo selbst ein feistes Unikum wie der skurrile Theobald ein echter Typ ist, ohne zur Karikatur zu werden. Dass der Roman gewissermaßen nebenher auch noch als Liebeserklärung an die gediegene Schönheit Arizonas Sehnsüchte weckt, macht das Lesevergnügen nur um so mehr zu einem Hochgenuss.

 

# Susan Elderkin: Der Mond über den Schattenbergen (aus dem Englischen von Barbara Schaden); 384 Seiten; Karl Blessing Verlag, München; 43,99 DM

(öS 321.-/sFr 39.50/€ 22,49)   WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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